Predigt von Bischof Dr. Bertram Meier beim Pontifikalamt mit Segnung des neuen Ambos und Weihe des Zelebrationsaltares im Marienmünster in Dießen am Ammersee (30. März 2025)
Schriftlesungen vom 4. Fastensonntag: Jos 5,9a.10-12; 2 Kor 5,17-21; Lk 15,1-3.11-32
Die Predigt ist auch als Video in unserer Mediathek verfügbar
Liebe Schwestern und Brüder,
Laetare (freu dich)! – es hätte wohl keinen passenderen Namen für diesen vierten Fastensonntag geben können. Zum einen wegen der Vorfreude, die uns als Christen traditionell an diesem Tag erfüllt, weil bereits die Hälfte der Fastenzeit erreicht ist und wir mit großen Schritten dem Osterfest entgegengehen. Zum andern, weil wir uns von Herzen über den neu gestalteten Ambo und Zelebrationsaltar freuen dürfen, hier, im wunderbaren Marienmünster von Dießen am Ammersee. Da uns heute auch viele Menschen auf K-TV zusehen, kann ich nur jeden einladen, einmal hierher zu kommen, in diese historisch bedeutsame und künstlerisch so reich geschmückte Kirche, wo Menschen seit Jahrhunderten die Nähe Gottes suchen und Kraft im Glauben finden. Der Tisch des Wortes sowie der Tisch des Brotes werden dabei auch in Zukunft von zentraler Bedeutung bei liturgischen Feiern sein. Beide neuen Elemente fügen sich meiner Meinung nach hervorragend in das Gesamtbild des Altarraums ein. Darum freue ich mich auch ganz persönlich über diesen festlichen Anlass, zu dem ich als Bischof von Augsburg gerne gekommen bin, um mit Ihnen die Heilige Messe zu feiern und Gottes Segen auf Altar und Ambo herabzurufen. Mögen sie für lange Zeit Orte sein, an denen wir uns in Gemeinschaft um den Herrn versammeln, seine Botschaft hören und seiner Gegenwart in den gewandelten Gaben von Brot und Wein teilhaftig werden.
Die Tageslesungen können uns dabei Anlass sein, über die Bedeutung des Begriffs „Versöhnung“ nachzudenken. Drei Gedanken kamen mir dazu.
1. Worte der Versöhnung
Der erste handelt von den „Worten der Versöhnung“. Wir finden solche Worte in allen drei gehörten Schrifttexten. Da ist zunächst die Erzählung aus dem Alten Testament, in welcher Gott zu Josua sagt, dass er nun endgültig „die ägyptische Schande“ (Jos 5,9a) vom Volk Israel „abgewälzt“ habe. Wir erinnern uns: Nachdem die Israeliten zunächst von Mose aus der Knechtschaft des Pharaos befreit wurden, murrten sie schon bald, weil sie meinten, in der Wüste verhungern und verdursten zu müssen. Schnell vergaßen sie die Hilfe Gottes, so dass sie zur Strafe vierzig Jahre lang umher wandern mussten. Erst, als sie sich wieder demütig zeigten, gewährte der Herr ihnen die Gnade, in das gelobte Land einzuziehen, und sprach sein Wort der Versöhnung.
Die Geschichten des Volkes Israel können aus heutiger Sicht immer auch beispielhaft für die Menschheit gedeutet werden. Von Anfang an wollte Gott das Heil für sein Geschöpf. Durch viele Worte zeigte er den Menschen Wege des Heils auf, und begleitete sie mit seinem Segen und seiner Vergebung. Als Höhepunkt kam er leibhaftig auf die Erde in seinem Sohn Jesus Christus, von dem Paulus im zweiten Korintherbrief sagt, dass Gott durch ihn „die Welt mit sich versöhnt hat, indem er ihnen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und unter uns das Wort von der Versöhnung aufgerichtet hat“ (2 Kor 5,19).
Besonders deutlich wird das auch im Gleichnis vom verlorenen Sohn, welches wir im heutigen Evangelium gehört haben. Hier finden wir gleich mehrere Worte der Versöhnung: Da ist der jüngere Sohn, der, nachdem er all sein Erbe verprasst hatte, reumütig zu seinem Vater zurückkehrt und um Vergebung bittet (vgl. Lk 15,21). Da ist der Vater, Sinnbild für Gott, der seinem Sohn vergibt und voller Freude davon spricht, dass dieser nun wieder lebt (Lk 15,24). Eine wunderbare Versöhnung, die mit einem Fest endet und darin gründet, dass Menschen ihr Leben bedenken, sich ihrer Schwächen bewusstwerden, Fehler zugeben und einander verzeihen. Auf solche Weise wird Frieden und Versöhnung möglich.
Doch dürfen wir bei all dem nicht die vielleicht interessanteste Figur der Geschichte übersehen: den älteren Sohn. Dieser scheint sich nicht sonderlich darüber zu freuen, dass sein Bruder wieder da ist und derart empfangen wird. Schon oft wurde in der Theologie darüber nachgedacht, für wen oder was dieser ältere Bruder stehen kann. Spiegelt sich in ihm womöglich der Neid eines selbstgerechten Menschen? Oder ist es umgekehrt eine völlig verständliche Reaktion angesichts des eigenen Bemühens um eine redliche Lebensweise, im Gegensatz zu dem unsäglichen Verhalten des Bruders? Die Worte des Älteren deuten jedenfalls keinen Versöhnungswillen an, doch wissen wir nicht, wie die Geschichte endet.
Ich persönlich finde das großartig, denn dieser offene Schluss kann uns alle herausfordern, einmal in uns zu gehen und uns selbst zu fragen: Wie würde ich denn in einer solchen Situation reagieren? Könnte ich mich freuen über die große Barmherzigkeit des Vaters? Oder wäre ich – wenn ich ehrlich bin – auch eifersüchtig, weil der Bruder trotz seines Fehlverhaltens so liebevoll empfangen wird?
Die Lösung, die Jesus uns anbietet, ist den Worten des Vaters zu entnehmen. Dieser anerkennt sehr wohl die Verdienste seines älteren Sohnes, den er als „Mein Kind“ (Lk 15,31) anspricht. Er teilt all seinen Besitz mit ihm. Gleichzeitig ermuntert er ihn, doch seinem Bruder zu vergeben und sich über dessen Umkehr zu freuen (vgl. Lk 15,32). Hierin wird sichtbar, worin wahres Christsein besteht: Nicht darin, anderen ihre Fehler vorzuhalten, sondern auf sich selbst zu schauen und sich zu bemühen, ein Leben nach den Geboten Gottes zu führen, der sehr genau weiß, was wir für Gedanken im Herzen tragen, und entsprechend lohnen wird, je nachdem, wie wir uns verhalten. Die Worte Jesu lehren uns demnach den Weg der Demut und Barmherzigkeit. Wie viele Konflikte in der Welt entstehen und eskalieren nur dadurch, dass Menschen nicht dazu bereit sind, aufeinander zuzugehen und sich die Hand zu reichen. Wir sehen das ganz aktuell in der Ukraine und können nur beten, dass Gott die Mächtigen mit seinem heiligen Geist berührt, und sie in der Folge Worte der Versöhnung suchen.
Eine weitere Möglichkeit wären „Gesten der Versöhnung“, was mich zu meinem zweiten Gedanken führt.
2. Gesten der Versöhnung
Wir alle kennen solche Situationen, wenn man Streit mit jemandem hatte. Da stellt sich dann die Frage, wie man wieder zusammenkommen kann, und wer als erstes einen Schritt macht. Wenn niemand sich bewegt, kann es passieren, dass Beziehungen vollends auseinandergehen. Nicht immer muss das bedauert werden, doch können, der Erfahrung nach, ganz viele Gräben überwunden werden, wenn wir dem Gegenüber unsere grundsätzliche Bereitschaft zur Versöhnung zeigen. Wir haben es im Evangelium gehört, wie der Vater dem Sohn mit offenen Armen entgegeneilt, ihn wieder bei sich aufnimmt, wäscht, neue Kleider bringen lässt, und am Ende ein großes Fest veranstaltet. Viele kleine Gesten, welche dazu beitragen, das gestörte Verhältnis zweier Menschen zu heilen, die sich voneinander entfernt hatten.
Auch heutzutage wissen wir, welch große Bedeutung Gesten haben können. Manche sind sogar in die Geschichte eingegangen. Viele von Ihnen können sich sicher noch an den berühmten „Kniefall“ von Bundeskanzler Willy Brandt im Jahr 1970 vor dem Mahnmal des jüdischen Ghetto-Aufstands in Warschau erinnern. Dieser wurde damals als eine Art Bitte um Vergebung für die im Namen Deutschlands begangenen Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs gedeutet. Es war ein für viele sehr bewegender Moment. Historiker sehen darin einen wichtigen Beitrag zur Aussöhnung und Völkerverständigung.
Doch müssen es nicht immer so große Zeichen sein. In unserem Alltag reicht oft auch schon ein freundlicher Blick oder eine kleine Tat, um dem Partner zu signalisieren, dass man sich wieder vertragen möchte.
Ich lade Sie daher ein, diese österliche Bußzeit zu nutzen und über folgende Fragen nachzudenken: Gibt es Menschen, mit denen ich in letzter Zeit Ärger hatte? Falls ja, habe womöglich auch ich auf bestimmte Weise zum Streit beigetragen? Und schließlich: Welche Gesten der Versöhnung könnte ich anbieten, sofern mir das ein ehrliches Anliegen ist?
Gott hat uns „den Dienst der Versöhnung aufgetragen“ (2 Kor 5,18), so haben wir es eben in der zweiten Lesung gehört. Nehmen Sie sich also ein bisschen Zeit und überlegen mal, was Sie tun könnten, um einen Konflikt beizulegen, den Sie mit einer bestimmten Person hatten oder immer noch haben. Und wenn es Ihnen im Moment unmöglich erscheint, darf ich Ihnen versichern, dass Sie vom Himmel aus Hilfe bekommen, womit ich bei meinem dritten Gedanken bin.
3. Maria – Mutter der Versöhnung
Wir sind in einem Marienmünster, weswegen ich es nicht unterlassen möchte, auf die zentrale Rolle der Gottesmutter beim Lösen aller menschlichen Knoten hinzuweisen. Einer dieser Knoten kann die Unversöhnlichkeit sein. Wo Konflikte soweit gediehen sind, dass Menschen keinen Weg mehr sehen, da kann uns Maria eine Hilfe sein. Papst Franziskus sprach von ihr einmal von der „Mutter der Vergebung“¹. Nicht nur deswegen, weil sie die Mutter Jesu war, dem allein es mit seiner göttlichen Vollmacht gegeben ist, Vergebung zu schenken, sondern auch, weil sie von IHM selbst die Kraft bekam, denjenigen zu vergeben, die ihren unschuldigen Sohn am Kreuz töteten. Lernen wir also von Maria, was es heißt, sich ganz von Gottes Geist und seiner Liebe erfüllen zu lassen. Das nämlich ist die Voraussetzung für echte Vergebung und inneren Frieden. Weil sie auf ihren Sohn gehört und in allem vertraut hat, wurde sie von Gott erhöht und in den Himmel aufgenommen. Gerade hier in Dießen – in der Pfarrkirche „Mariä Himmelfahrt“ – wollen wir uns darum der Fürsprache der Muttergottes anvertrauen. Möge sie uns mit ihrem Beispiel leiten und mithelfen, dass Menschen sich wieder mit Gott und untereinander versöhnen.
Und ein Letztes: Auch die Heiligen und Seligen können eine Hilfe sein. Eine ganze Reihe davon sehen wir bekanntlich hier, in der Chorkuppel des Münsters, über uns. Zwei möchte ich namentlich nennen, da wir deren Reliquien heute, der christlichen Tradition nach, unter dem Altar einfügen. Es sind der hl. Ulrich, unser Bistumspatron, und die hl. Hedwig. Der erste hat im Jahr 954 maßgeblich zum Frieden von Tussa, und damit zur Versöhnung zwischen König Otto I. und seinem Sohn Liudolf beigetragen. Die zweite, Hedwig von Andechs, Herzogin von Schlesien, wird als Schutzpatronin der Versöhnung zwischen Deutschen und Polen verehrt. Mögen auch diese beiden Heiligen uns auf unserem Lebensweg zur Seite stehen und als Vorbilder dienen.
Um all das bitten wir und rufen voller Dankbarkeit über Gottes großes Versöhnungswerk nicht nur am heutigen Tag: Laetare! Freu dich!
¹ Außerordentliches Jubiläum der Barmherzigkeit: Heilige Messe und Öffnung der Heiligen Pforte in der Basilika Santa Maria Maggiore (1. Januar 2016) | Franziskus, 19.03.2025: https://www.vatican.va/content/francesco/de/homilies/2016/documents/papa-francesco_20160101_giubileo-omelia-portasanta-smmaggiore.html