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Zu Pfingsten stellt uns Sr. Christine den Herrn nicht als den strahlenden, unberührbaren Held, sondern als den Heiland mit durchbohrten Gliedern vor. Und sie erläutert, warum die Sünde gleichsam ein „Friedens-Killer“ ist.

Pfingsten 2021  – Joh 20, 19 – 23
Lesejahr B

Heute ist Pfingsten, das „Hohe Pfingstfest“. Ich liebe Pfingsten! Es ist für mich in vieler Hinsicht der Inbegriff des vollen, üppigen, fruchtbaren Lebens. Der Frühling ist nicht erst gerade zaghaft ins Land gezogen, sondern er ist schon kraftvoll fortgeschritten, die Apfelbäume haben bereits winzige, verheißungsvolle Früchte angesetzt, der Sommer lässt schon grüßen.

Ein reiches Fest

Auch kirchlich und liturgisch ist Pfingsten ein reiches Fest. Es hat zwar nicht – wie Ostern -die große Dramaturgie der drei vorangegangenen Tage, aber es wird eigentlich – ähnlich wie das Osterfest – mit einer Vigil, mit einer Nachtwache begonnen. Auch in dieser Vigil gibt es – so wie in der Osternacht – gleichsam eine Erinnerungsreise durch das Erste und Zweite, durch das Alte und Neue Testament. Wir hören in den Lesungstexten Erzählungen, wie sich der Geist Gottes im-mer wieder und in immer neuen Ausdrucksformen und Begebenheiten im Laufe der Geschichte bemerkbar gemacht.

Initialzündung von Kirche

Deshalb kann auch ich nicht umhin, an diesem Sonntag wenigstens zwei pfingstliche Texte sprechen zu lassen: Die erste Lesung des heutigen Festtages ist aus der Apostelgeschichte, die zweite aus dem Johannesevangelium. Beide Schriftworte beginnen mit einer Situation des Rückzugs. In beiden Geschichten werden die Jünger gehörig aufgescheucht; in beiden wendet sich das Blatt, und ihre kleinen Kreise brechen auf. In der Lesung gehen sie tatsächlich aus dem Raum hinaus und bringen anscheinend die ganze Stadt durcheinander. Im Evangelium wird ihnen Frieden geschenkt. In beiden Texten geht es um den Geist Gottes, der das alles ermöglicht, und um so etwas wie eine Grundlegung, eine Initialzündung von Kirche.

Zu unvorstellbar ist es, dass ein öffentlich Exekutierter wieder unter den Lebenden sei.

Schauen wir der Reihe nach, zuerst also auf die Apostelgeschichte: 50 Tage nach Ostern (daher der Name, aus dem griechischen „Pentecoste“, aus dem dann „Pfingsten“ geworden ist) waren die Freunde Jesu wieder einmal zusammen. All der Schrecken und das Unerwartete, alles das, was sie wenige Wochen zuvor erlebt hatten, ist ihnen wohl noch in den Knochen gesteckt. Auch mit dem auferstandenen Jesus, der sich ihnen bereits mehrmals gezeigt hat, kommen sie noch nicht so ganz zurecht. Zu unvorstellbar ist es, dass ein öffentlich Exekutierter wieder unter den Lebenden sei. Sie sind nach wie vor irritiert und zurückgezogen, und so treffen sie sich wieder – wie die Tradition sagt – im Abendmahlssaal, wo sie mit Jesus das letzte besondere Mahl gefeiert hatten.

Jünger, die sich verkriechen

Während sich die Jünger verkrochen haben, muss sich draußen das brodelnde Leben abgespielt haben. Die Aufzählung der Parther, Meder und Elamiter und vieler anderer scheint gar nicht mehr fertig zu werden. Ob diese Ansammlung von Nationalitäten nun historisch ist oder nicht – es ist jedenfalls die Rede von Menschen aus den großen Metropolen der damaligen Welt und von Menschen aus entlegenen Landstrichen, die sich da gerade in Jerusalem aufhalten.

Plötzlich begeistert

Und da passiert es: Ein heftiger, brausender Sturm kommt, ein Getöse und etwas, das den Apos-teln wie Feuer vorkommt. Ein feuriges Erleben war es wohl tatsächlich, denn als der Sturm vorbei ist, sind sie „andere“ geworden: Sie wollen sich nicht mehr verschließen, sondern sie alle gehen hinaus aus ihren schützenden Mauern und fangen an zu sprechen, „wie es der Geist ihnen eingab“. Sie müssen aufgeregt und begeistert und wohl auch ein wenig auffällig und außer sich gewesen sein. So kommt es, dass sie die einen, die vorbeigekommen sind, ratlos und sogar bestürzt gemacht haben. Die anderen haben gespottet und sie für betrunken gehalten.

Frischer Wind

Was hat es mit diesem Geist auf sich? Der Geist Gottes ist wirklich feurig, er ist leuchtend, und er hat viele Namen. Ursprünglich – vom Hebräischen her – ist er der Atem, der Lebensatem, die Lebenskraft Gottes. Später kommen noch andere Namen oder Facetten oder auch Erfahrungen da-zu: Der Geist ist der Tröster, der Beistand, der Beweger, der Unruhestifter. So gesehen kann der Geist auch ein „gefährlicher Geselle“ sein, zu dem wir dann vielleicht sagen wollen: „So viel frischer Wind hätte auch nicht sein müssen.“ Im Psalm 104 ist der Geist derjenige, der alles neu macht, und im so genannten alten Glaubensbekenntnis ist es der Geist, „der Herr ist und lebendig macht“. Er ist also Autorität, Lebendigmacher und Initiator.

„Die Jünger sind nicht mehr zu halten“

Pfingsten wird auch das „Geburtsfest der Kirche“ genannt. Die Kirche, das sind die Menschen, „die dem Herrn gehören“ („Kyriake“ – wieder ein Wort aus dem Griechischen), und es sind die Menschen, die sich vom Geist Gottes anstiften lassen. Menschen, die hinausgehen aus ihren schützenden Mauern und anderen vom dem erzählen, was sie bewegt und was sie von Gott und vom Leben begriffen haben. „Wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden“, sagt der Text. Anscheinend sind sie nicht mehr zu halten. Und wie auch immer man sich das Sprachenwunder in dieser international zusammengewürfelten Gesellschaft vorstellen mag – bei mir kommt zunächst besonders an: „in unseren Sprachen“.

Sie verkünden Gottes große Taten

Menschen können also in ihren ganz eigenen Lebens- und Vorstellungswelten angesprochen und berührt werden, so dass die Taten Gottes und der Glaube nichts Fremdes bleiben müssen, sondern mit dem eigenen, unmittelbaren Leben zu tun haben können. Und dann heißt es: „Sie verkünden Gottes große Taten.“ Da ist nichts mehr von einem Kreisen um sich selbst, nichts mehr von einem Jammern über das, was nicht mehr möglich ist und wie man vielleicht schuldig geworden ist. Nein, der Blick geht auf Gottes große Taten – so wie die Jünger sie in ihrem Zusammensein mit Jesus gelernt und begriffen haben.

Was von diesem Verkünden wirklich bei anderen ankommt und was es bewirkt, wenn wir versuchen, die „Sprachen“ und die Glaubenswelten der Menschen zu erreichen, das wissen wir nicht. Vielleicht werden auch wir – so wie die hinauseilenden Jünger – manchmal für ein bisschen verrückt gehalten. Aber der Geist, der Herr ist und lebendig macht, er wird etwas Gutes daraus machen. Darauf können wir doch wirklich vertrauen.

Nun zur zweiten Geschichte, zum Evangelium, die wir auch schon in den Ostertagen gehört haben. Vielleicht können wir sie jetzt, im Zusammenhang mit Pfingsten, noch einmal neu und ein wenig anders hören: Die Jünger haben sich hinter verschlossenen Türen eingebunkert. Sie sind ein Häuflein ratloser Menschen, die an ihrer eigenen Untreue und Feigheit leiden. Da kommt der Auferstandene auf wundersame Weise durch die verriegelte Tür und stellt sich in die Mitte. Jesus „arbeitet“ sich gleichsam Schritt für Schritt als Auferstandener an die Jünger heran.

Jesus muss einiges unternehmen, damit sie ihn erkennen

Zu sehr sitzen ihnen der Schreck des Durchlebten, vielleicht auch die Schuldgefühle in den Knochen, zu unglaublich wäre ein Wiederkommen Jesu. Und doch: Er kommt, und er muss einiges „unternehmen“, damit die Jünger es fassen können, dass es wirklich Jesus ist, und zwar wirklich und leibhaftig. Er kommt durch die geschlossene Türe, er muss beinahe eindringen, er tritt in die Mitte, er macht sich deutlich bemerkbar und will gesehen werden. Er spricht als erstes vom Frieden, und er wünscht seinen Freunden den Frieden. Dann zeigt er ihnen seine Wunden und wünscht ihnen noch einmal den Frieden. Nicht das Wohlfühlen, nicht die Gemütlichkeit, nicht, dass es nie mehr Konflikte und Unverständnis geben wird, nicht die Harmonie, aber den Frieden. Das, was unsere menschliche Seele am meisten und tiefsten ersehnt.

…Er mutet ihnen die Wahrheit zu

Jesus kommt als Erlöser und Friedensbringer. Aber er ist nicht der strahlende, unberührbare Held, sondern er ist ein Friedensbringer, ein Heiland mit durchbohrten Gliedern, die er ihnen deutlich noch einmal zeigt. Der ganze Schrecken dieser grausamen Hinrichtung ist und bleibt sichtbar und greifbar. Jesus, der verwundete Heiland, macht das, was geschehen ist, nicht ungeschehen. Er sagt nicht „war ja nur ein böser Traum“, sondern er mutet seinen Freunden und Freundinnen die Wahrheit zu. Es kommt auch kein Wort des Vorwurfs. Nein. Die Jünger scheinen zumindest ansatzweise zu begreifen, und schließlich freuen sie sich. Da blitzt dann ein zweites-mal etwas von dem neuen Frieden auf.

Als Geistgesandte unterwegs

Und dann kommt nach diesen Glücksmomenten und genährt durch dieses Glück, Jesus wieder gegenwärtig zu erleben, die Sendung: der Auftrag, sich aufzumachen und in Gottes Namen hi-naus und zu anderen Menschen zu gehen. „Empfangt den Heiligen Geist“, heißt es. Da ist er wieder, dieser kraftvolle Lebendigmacher und Mutmacher, der ihnen mit auf den Weg gegeben wird. Die Jünger müssen nicht alleine aus eigener Kraft hinausgehen, sondern sie gehen als Geistgesandte einen geistgewirkten Weg.

„Was ist das für eine Sendung für mich als Frau?“

Welche Art von Sendung ist es, die hier erwähnt wird? In der Apostelgeschichte ging es sozusagen um etwas Aktives und Extrovertiertes – um das „Verkünden von Gottes großen Taten in allen Sprachen.“ Hier nun im Johannesevangelium wird Gottes Auftrag an uns anders ausgedrückt. Ein bisschen vereinfacht möchte ich sagen: Hier klingt die Sendung leiser, beinahe introvertierter. Hier ist vom Sünden-vergeben die Rede. Ich persönlich habe das früher immer als rein priesterlichen Dienst gesehen und habe mich gefragt, was das nun für eine Sendung, für ein Auftrag für mich als Frau ist. Was soll ich damit anfangen?

Sünde trennt und sondert ab

Bis ich dann einmal die Herkunft und den Sinn des deutschen Wortes „Sünde“ begriffen habe. Sünde ist das, was absondert, was trennt, was entfremdet. Sünde ist das, was Leben verhindert, was Wachstum und Begegnung verweigert, was mich in meinen manchmal allzu kleinen Kreisen gefangen hält. Ich kenne derartige Absonderungen von mir selber und in mir selber, und ich ken-ne sie auch als eine Kraft, die zwischen mir und anderen steht. Eine Kraft, die Begegnung, Kommunikation, Aufmerksamkeit verhindert und vermeidet. Eine Kraft, die im Defizitären und Un-glücklich-gelaufenen verharrt. Eine Kraft, die sich weigert, mich auf Neues einzulassen und dem Leben – oder einer anderen Person oder Menschengruppe – noch einmal eine Chance zu geben. Jesus benennt auch diese Wirklichkeit des Verweigerns.
Ich kenne dieses Absondern in tausend Varianten, und wir alle kennen es in unserer kleinen und großen Welt. Das Absondern ist gleichsam ein „Friedens-Killer“.

Frieden schenkt neue Freiheit und Perspektive

Jesus bringt Frieden. Jesus – dem selber viel Absonderung und Ablehnung widerfahren ist – will den Frieden. Friede kann etwas Persönliches und Intimes sein, das mir und meiner Seele neue Freiheit und Perspektive schenkt. Frieden ist zugleich etwas, was viel größer ist als mein kleines Ich. Frieden ist auch grenzenüberschreitend, ist strukturell und politisch. Frieden in allen seinen Dimensionen schenkt neue Freiheit und eine weite Perspektive.

Ich komme zum Schluss. Ich staune und bin berührt, dass Jesus nicht aufhört, mit allen Wunden und durch alle Hindernisse hindurch, zu kommen. Vielleicht begreifen wir es eines Tages wirklich, dass er den Frieden bringt, für unsere Seelen und für diese Welt. Und ich bin dankbar, dass uns Jesus immer wieder aufscheucht und hinaustreibt, um ihn und seine großen Taten zu verkünden – so wie die Jünger in der Apostelgeschichte. Vielleicht werden wir manchmal für ein bisschen verrückt gehalten, aber das macht nichts.

Gott schenkt uns in all das hinein seinen Frieden, seine Freiheit und seinen Geist. Das sind die Geschenke Gottes an diesem Pfingstfest in einer bewegten Welt, die nach Frieden, Freiheit und Geist sucht.

Generalsekretärin der Österreichischen Ordenskonferenz

 

(radio vatikan – claudia kaminski)