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In diesem Sonntagsevangelium, so Sr. Christine Rod, geht es um das Lieben: Um Lieben und Geliebtwerden und um eine – immer heikle – Beziehungsklärung. Jesus möchte Freund und Weggefährte sein.

Sr. Christine Rod, MC

6. Sonntag der Osterzeit: Joh 15, 9 – 17
Lesejahr B

Wieder einmal ein weiteres Stück aus den so genannten Abschiedsreden, und noch genauer: der zweite Teil der Weinstockrede. Ich liebe diese Texte aus dem Johannesevangelium, wie sie uns in der leuchtenden Osterzeit gleichsam stückweise verabreicht werden. Zu viel auf einmal würden wir wohl gar nicht erfassen können. Sie sind auch so schon gute, nahrhafte, reichhaltige Kost.

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Schließlich geht es um Erwählung…

Aber der Autor des Johannesevangeliums oder die Johannesgemeinde hat diese Worte, diese Botschaften über die Jahrzehnte hinweg wieder und wieder erzählt, reflektiert, durchgekaut, durchgebetet und dann viele Jahre später in diese verdichtete, fast lyrische Form gebracht.
Wenn die Abschiedsreden tatsächlich so etwas wie ein Vermächtnis sind, dann können wir annehmen, dass die zentralen Lebensanliegen Jesu angesprochen werden. Ja tatsächlich: Es geht heute um Bleiben, um Lieben, um Freude, um Freunde, um Leben-hingeben und schließlich um Erwählung.

…und um Lieben

Letzten Sonntag haben wir vom Weinstock und von den Reben und vom Bleiben gehört. Diesmal geht es um das Lieben, und manche schon angesprochenen Themen setzen sich fort, wie z.B. das Bleiben und die Verheißung des Fruchtbringens. Es kommt mir so vor wie in der Musik, in der manchmal ein Thema wieder, aber doch immer anders, deutlicher oder versteckter oder unterschwelliger kommt. Vergangenen Sonntag haben wir im Evangelium ganz eindringlich vom „Bleiben“ gehört. Achtmal kam es in dem kurzen Text vom Weinstock und von den Reben vor.
Auch heute ist in eindringlicher Weise vom Bleiben die Rede, und zwar vom Bleiben in Gottes Liebe.

„Lieben ist ein freier Akt, der freieste Akt eines Menschen“

Ebenso wie vom Bleiben in vielen Wiederholungen die Rede war, kommt das Lieben achtmal im heutigen Evangelium vor. Lieben ist ein freier Akt, der freieste Akt eines Menschen und kann nicht verordnet oder eingefordert werden. Und doch: Jesus bringt das Lieben ins Gespräch und bittet beinahe darum. Vielleicht ist Lieben, unsere Liebe etwas, auf das auch Gott angewiesen ist. Ich stelle es mir so vor und glaube daran: Gott ist nicht der unbewegte Beweger, sondern auch er ist berührt und bewegt durch Lieben und Geliebtwerden.

Drei Worte für Liebe

Lieben ist ein großes Wort, und die Bibel wandert zwischen verschiedenen Begriffen und Weisen von Lieben hin und her. Auch im Deutschen ist es ein heikles Wort, mit dem niemand keine Erfahrungen hat, zu dem niemand keine Beziehung hat, zu dem jeder viele Deutungen und vielleicht auch viele Namen hat. Die Bibel bietet uns vom Griechischen her drei Begriffe, die einmal leichter, einmal nicht so leicht übertragbar sind; auf jeden Fall kennen wir sie in der einen oder anderen Form.
Da ist der Eros. Eros meint die zärtliche, erotische, partnerschaftliche Liebe. Dann gibt es die Philia, die freundschaftliche Liebe, Verbundenheit und Zugehörigkeit. Und schließlich gibt es die Agape, die große, übersteigende Liebe, die Liebe zu Gott, zum Nächsten, zum Leben insgesamt. Später meint dieser Begriff auch die Liebe innerhalb der christlichen Gemeinde und das gemeinsame Mahl in ihr, das Liebesmal.
Keine dieser so genannten „Liebesgeschichten“ ist unveränderlich und statisch. In jeder dieser Dimensionen gibt es Klärungs-, Wachstums- und Wandlungsprozesse. In jeder dieser verschiedenen Liebeserfahrungen sind wir Menschen angewiesen und verletzlich.

 

Beziehungsklärungen sind heikel

Auch im heutigen Evangelium wird etwas Feines, Zartes, etwas Wichtiges angesprochen. Es gibt im heutigen Text so etwas wie eine Beziehungsklärung. Beziehungsklärungen sind immer eine heikle und schwierige Angelegenheit, weil es um etwas geht, bei dem wir Menschen besonders bedürftig und verletzbar sind: Um Lieben und Geliebtwerden. Wo stehe ich? Wo stehst du? Wie stehen wir zueinander? Welchen Namen können wir dem geben, was zwischen uns besteht und was unsere Gemeinsamkeit ausmacht?

„Jesus will der Freund seiner Freunde sein, der Weggefährte “

Jesus verabschiedet sich davon, seine Freunde „Knechte“ oder „Sklaven“ zu nennen. Zu einem Knecht gibt es immer auch einen Herren, einen, der in der Hierarchie über ihm steht und somit der Chef ist; einen, der den Ton angibt, der Anweisungen erteilt und der vielleicht auch noch über das Lebensschicksal des anderen entscheidet.
Das antike Wirtschafts- und Sozialsystem hat von „Herren und Knechten“ gelebt. Was war schlecht daran? Es war doch ein gängiges Denkmuster und eine bewährte Praxis damals, die auch geholfen hat, Klarheit herzustellen, Abläufe zu regeln, Entscheidungen zu treffen und Aufgaben zu bewältigen.
Aber Jesus distanziert sich davon: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, sondern Freunde“, sagt er. Freunde sind selten in hierarchischer Ordnung miteinander verbunden, sondern in einer eher egalitären Weise. Jesus ist nicht der Chef seiner Jüngerinnen und Jünger, sondern er stellt sich
auf eine Stufe mit ihnen. Er macht sie zu Freien und ermöglicht ihnen damit neue, selbstbestimmte Lebensmöglichkeiten. Und gleichzeitig: Ja, er ist und bleibt der Herr, der Meister, der Lehrer, sogar der Erlöser. Aber er will der Freund seiner Freunde sein, der Weggefährte, der mit ihnen ihr Brot und ihr Schicksal teilt. Das ist seine Weise zu lieben.

Zeugnis von Gott geben

Der Apostel Paulus hat das Thema der gleichwertigen, gleichrangigen Freien in seinen Briefen an die jungen Gemeinden aufgegriffen. Es muss wohl ein wiederkehrendes, brisantes Thema in der jungen Kirche gewesen sein, sonst würde es bei Paulus nicht so viele Spuren und Anhaltspunkte dafür geben. Da geht es vor allem um das neue Verhältnis von Christen untereinander, die im Sinne dessen, was sie begriffen haben, als „Freunde im Herrn“, gewissermaßen als egalitäre Gesellschaft leben und somit Zeugnis von Gott geben wollen.

Wenn ich in der Geschichte noch weiter zurückschaue, so finde ich im Ersten oder Alten Testament vor allem zwei markante Gestalten, die nicht einfach als Freunde von irgendjemandem, sondern als Freunde Gottes bezeichnet werden: Es sind Abraham und Mose. Abraham, der sich auf Gottes Verheißung hin von Ur in Chaldäa aus mit vielen Umwegen und mit dem Wunsch nach dem heißersehnten Sohn auf den Weg gemacht hat. Später wird er „Vater des Glaubens“ genannt. Sein Grab wird heute in der Stadt Hebron von Juden, Christen und Muslimen gleichermaßen verehrt.

Freunde Gottes

Dass Abraham der Freund Gottes genannt wurde, muss Menschen so beeindruckt haben, dass der arabische Name für die ganze Stadt Hebron heute noch „Al Challil“ ist, „der Freund“.
Später wird auch Mose als Freund bezeichnet, der in einer bislang als ungeheuerlich betrachteten Nähe mit Gott spricht. Da heißt es im Buch Exodus: „Der HERR und Mose redeten miteinander von Angesicht zu Angesicht, wie einer mit seinem Freund spricht.“ (Ex 33,11)

Diese Gottesfreundschaft ist keine romantische Angelegenheit, sondern es kommt ein sehr ernster Ton dazu: Die höchste, die glaubwürdigste Form von Freundschaft ist, wenn jemand bereit ist, das Kostbarste, das er hat, nämlich sein Leben, loszulassen und es für andere hinzugeben.
Ich möchte noch einmal von einem meiner philippinischen Freunde erzählen, von denen ich vergangenen Sonntag im Zusammenhang mit dem Weinbergspaziergang berichtet habe:

„Vielleicht hilft es euch, wenn ich hier jetzt sterben muss“

Es war in der Zeit der philippinischen Militärdiktatur, und Timmy war mit Freunden auf einer Demonstration gegen den damaligen Diktator Ferdinand Marcos. Militär rückte aus, schoss in die Menge, und es kam zu einem Massaker. Der, der neben Timmy gegangen war, war mit einem Bauchschuss getroffen worden und ist zusammengesunken. Timmy duckt sich, kauert sich im Kugelhagel zu seinem sterbenden Freund und hört diesen gerade noch mit großer Mühe sagen: „Vielleicht hilft es euch, wenn ich hier jetzt sterben muss.“
Es war mittlerweile viele Jahre später, aber Timmy hat diese Geschichte im Weinberg unter Tränen erzählt. Damals, so meint er, hat er verstanden, was es bedeutet, sein Leben für seine Freunde hinzugeben.

Jesus hat die Regie

Es kann also ganz schön ernst werden mit diesem Freundsein. So ist es vielleicht auch mit der Erwählung. Jetzt spricht der Text davon, dass Jesus erwählt, und er stellt sehr klar, wer wen erwählt. Bei aller Freundschaft mit Jesus bin ich unendlich dankbar, dass er die Regie hat: Er hat mich erwählt, er hat mich zuerst geliebt, er hat mich ins Leben und in seinen Dienst gerufen.
Er hat erwählt, und er hat mich und uns dazu bestimmt, uns aufzumachen. Dieser Vers, dieses Wort rührt mich immer besonders an. Es lässt in der deutschen Sprache wunderbarer Weise mehrere Deutungen zu. „Mich aufmachen“ heißt einerseits, mich auf den Weg machen, aufbrechen, mich in Bewegung setzen, Altbekanntes (manchmal sogar schmerzlich) hinter mir lassen, neues Terrain betreten und Neues erkunden.

Pilger werden?

Vielleicht heißt es auch so etwas wie „Pilgerin“ werden. Pilger und Pilgerinnen sind Menschen, die bekennen, dass sie suchend und unfertig und auf dem Weg sind. Und so bin ich in guter Gesellschaft mit ganz vielen, die sich – ob als Christen und Christinnen oder nicht – auf einen solchen Suchweg nach dem Leben begeben.
„Aufmachen“ kann andererseits aber auch heißen, mich zu öffnen oder mich öffnen zu lassen, meine dicken Schutzschichten abzutragen und mich verletzbar und angreifbar zu machen, mich berühren zu lassen – damit mein Leben für mich und für andere sinnvoll und fruchtbar wird.

Gott wirbt um uns

Ein anrührendes und ein ernstes Evangelium. So gerne möchte ich Gott tatsächlich den Vortritt, die Regie überlassen, und so gerne möchte ich mit Herz und Seele und Kopf und Hand daran glauben, dass Gott es ist, der liebt und erwählt und Frucht verspricht. Hundertmal, ja tausendmal nehme ich wieder alles an mich und glaube, es selber tun zu müssen, und doch: Diese Worte aus dem Johannesevangelium verlieren ihre bezaubernde und einladende Kraft nicht. Gott hört nicht auf, um mich zärtlich-kraftvoll zu werben und mich zu erwählen.
Das ist eine der Verheißungen unseres Gottes, und immer neu möchte ich mich aufmachen, ihm die Regie zu überlassen. Und daran glauben, dass er das Lieben und die Freude bringt.

(radio vatikan – claudia kaminski)

 

Generalsekretärin der Österreichischen Ordenskonferenz