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Eine dringend nötige Reform? Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Trägerin des Ratzinger-Preises 2021, denkt in ihrem Kommentar zum Jahr über die Diskussionen zum Thema Priesterweihe von Frauen nach. Hier zum Nachlesen und Nachhören.

Priesterinnen?

Sylvester 2021

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

Im heutigen Meinungsklima plädieren (deutsche) Bischöfe für die Weihe von Frauen zu Priesterinnen. Auch ein beträchtlicher Teil von Priestern schließt sich dieser Meinung an und bereitet zugleich die Gläubigen in Predigten auf den Wandel der Zeiten vor. So wurde die Autorin mehrfach selbst in der Sonntagsliturgie eindringlich über die fällige Reform belehrt (anstelle der Auslegung des Evangeliums). Am häufigsten sind soziologische Argumente, es sei endlich an der Zeit, Frauen wie überall sonst den Zugang auch zu allen kirchlichen Funktionen oder Rollen zu eröffnen. Daneben stehen auch exegetische Bemühungen, das Vorbild Jesu wie auch der Apostel zu entkräften und andere Botschaften etwa von der Gleichwertigkeit aller Getauften ins Feld zu führen – vor allem weil die Taufe ohnehin schon unbestritten zum allgemeinen und königlichen Priestertum führt. Getauft und gefirmt – reicht das nicht?

„Getauft und gefirmt – reicht das nicht?“

Der „Vernünftigkeit“ solcher Argumentationen kann man sich in der Tat schwer verschließen. Dennoch verschließt sich jemand. Das geschieht nicht, weil er die Vernünftigkeit nicht erkennen könnte, im Gegenteil, er wiederholt sogar die angeführten Argumente, und er hat sie auch verstanden. Dieser Jemand ist der Papst. Und das verändert die Lage; es verändert auch den Blick auf die Frage selbst.

An Pfingsten 1994 hat Johannes Paul II. in einer knappen Ordinatio sacerdotalis unter Berufung auf das Petrusamt der Frage eine Antwort erteilt. Die Antwort beruft sich ihrerseits auf eine ausführliche Darlegung desselben Themas bei Papst Paul VI.[1], ist also doppelt legitimiert. Und die Antwort heißt nein: kein Priestertum der Frau.

Verständnis für die Argumentation

Die Autorin muß gestehen, daß sie selbst lange Zeit mit dem Thema befaßt war und sich ebenfalls Gedanken um eine Übertragung sakramentaler Funktionen auf ein Diakoninnenamt machte. Auch sie hat am Rande der Möglichkeiten entlang gedacht und kann von daher andere verstehen, die ähnliche Gründe ins Feld führen; allerdings hat sie das Priestertum der Frau klar ausgeschlossen. Aber auch die Diakonin im Sinn eines geweihten Amtes ist ihr fraglich geworden. Dieser Sinneswandel ist einer Begründung schuldig.

Die Begründung ist glaubensmäßig. Ich glaube, daß das Lehramt tatsächlich Petrus und seinen Nachfolgern so anvertraut ist, daß es in tiefgreifenden Fragen richtig entscheidet. Richtig bedeutet nicht anmaßend, sondern kraft Amtes in Auslegung des Vorbilds Christi und der konstanten Praxis der Kirche. Alle drei Positionen werden in der Ordinatio angeführt: das Amt, das Vorbild und die Praxis.

„Ich glaube, daß das Lehramt tatsächlich Petrus und seinen Nachfolgern so anvertraut ist, daß es in tiefgreifenden Fragen richtig entscheidet“

Vielleicht wäre ich nicht so einfach damit einverstanden, wenn ich nicht zur Zeit John Henry Newman lesen würde, den englischen Konvertiten, der zu seiner Konversion 1845 Berge überwinden mußte, bevor er den Weg nach Rom ging. Und er ging gleichsam mit abgezogener Haut. Aber Newman hatte im Kampf um die Rechtgläubigkeit seiner Kirche, nämlich der anglikanischen, verstanden, daß sie in entscheidenden Fragen hilf- und haltlos war, in seinen Worten: liberal, nichts anderes als ein Spiegel der Tagesmeinungen. Um ihre Rechtgläubigkeit zu stärken und abzusichern, ging Newman in seinen Studien bis in das 4. und 5. Jahrhundert zurück und suchte die damaligen Konzilien mit ihren gewaltigen Streitfragen auf. Was er fand, traf ihn ins Mark: Seine Kirche war in entscheidenden Fragen offenbar mit den damaligen Häretikern konform. Mehr noch: Die Rechtgläubigkeit, um die er rang, war jedesmal auf Seiten der verhaßten römischen Kirche zu finden.

Es war Papst Leo I., der letztlich das Konzil von Chalkedon 451 zu einer dogmatischen Stellungnahme drängte, mit der ganzen Autorität des Petrus, die er kompromisslos einsetzte. Es waren die Kirchenväter, die entgegen der Meinungsvielfalt der östlichen Teilkirchen und gegenüber der Rationalisierung möglicher Jesus-Deutungen immer wieder durch den Papst gestärkt und bestätigt wurden. Und Newman begriff, daß er zum Schlüssel der Kirchengeschichte gelangt war, zum Schlüssel für die Wahrheit inmitten der nicht mehr unterscheidbaren Stimmen, die alle irgendein Recht beanspruchten, und alle unter Berufung auf das Evangelium.

„Nicht selten lag sogar die größere Rationalität auf Seiten der Häretiker“

Nicht selten lag sogar die größere Rationalität auf Seiten der Häretiker, so im Fall des Arius, der die zwei Naturen Christi, die göttliche und die menschliche, für unvereinbar hielt – sie sind ja auch in der Tat paradox -, und dem der größte Teil der damaligen Bischöfe folgte:  Jesus sei nur ein Mensch gewesen, oder im Semi-Arianismus: ein adoptierter Sohn Gottes. Newman sah mit Schrecken, daß dies die gängige Überzeugung der meisten anglikanischen Hirten seiner Zeit war, einschließlich des Erzbischofs von Canterbury, und daß es nur Rom war, das dieser Häresie damals wie zu seiner Zeit Widerstand leistete. In anderen Fällen, so beim Dogma der Trinität, verhielt es sich ebenso. So ging er selbst den als richtig erkannten, durchaus schmalen Weg, verdächtigt von den Anglikanern, mißtrauisch verfolgt, ja blockiert von den Katholiken.

Was ist die Folgerung, die daraus im heutigen Meinungsstreit, im theologischen Schlagabtausch, in den exegetischen Überlegungen zu ziehen ist? Immer dieselbe, die Newman zog: Solange die apostolische Kirche, die auf Petrus gegründet wurde, als Stiftung des Herrn geglaubt wird, gibt sie den Ausschlag. Das entbindet nicht von einer inhaltlichen Vertiefung und Plausibilisierung der päpstlichen Entscheidungen. Aber doch entbindet es von einem Wiederholen immer derselben Argumente, die schon mehrfach begründet abgewiesen wurden.

„Solange die apostolische Kirche, die auf Petrus gegründet wurde, als Stiftung des Herrn geglaubt wird, gibt sie den Ausschlag“

Und es verpflichtet zu einem Blick auf die angebotene Alternative, denn auch sie wird in der Ordinatio gegeben: „dass die christlichen Frauen sich der Größe ihrer Sendung voll bewußt werden: Ihre Aufgabe ist heutzutage von höchster Bedeutung sowohl für die Erneuerung und Vermenschlichung der Gesellschaft als auch dafür, daß die Gläubigen das wahre Antlitz der Kirche wieder neu entdecken.“ Das mag allgemein klingen und wenig konturiert. Aber es liegt auch daran, daß die Wortführerinnen eines weiblichen Priestertums in diese alternative Richtung kaum den Blick, noch weniger alle Kräfte werfen und die riesige Aufgabe zur eigenen machen. Heute ist der Blick geschärft auf andere Kulturen und Religionen, die eine „natürliche“ Unterordnung der Frau für selbstverständlich halten oder sie nur als „Besitz“ des Mannes sehen. Mädchen werden pränatal getötet, Abtreibung wird zum Menschenrecht stilisiert, Kinderporno wird vermarktet, Frauen werden als Leihmütter, Organspenderinnen und Prostituierte verkauft. Dies vor der eigenen Haustür. Es stünde dem christlichen/westlichen Kulturraum zu, vor allem den Frauen selbst, die im Evangelium verbriefte Würde beider Geschlechter politisch, juristisch und lebensweltlich weit deutlicher gegen den breiten interkulturellen Mißbrauch zu sichern.

„Es stünde dem christlichen/westlichen Kulturraum zu, vor allem den Frauen selbst, die im Evangelium verbriefte Würde beider Geschlechter politisch, juristisch und lebensweltlich weit deutlicher gegen den breiten interkulturellen Mißbrauch zu sichern“

Die Aufgabe von Erneuerung und Vermenschlichung der Gesellschaft ist in der Tat uferlos groß und naturgemäß unscharf. Aber offenbar richtet sich die Energie nur noch auf die Werkzeuge, die man/frau den Priestern aus der Hand nimmt. Gibt es wirklich keine eigenen, keine anderen Initiativen? Der Abfall vom christlichen Ethos wird groß und größer; das Evangelium verdämmert zu einer fernen Sage; das Gewissen wird zum einzigen permissiven Lehramt. Hier wäre Kirchengeschichte lehrreich: Unzählige Frauen sind heilig geworden, Retterinnen der Humanität, Leuchtfeuer ihrer Umgebung, ohne daß sie kirchliche Ämter nötig fanden. Sie wurden Kirchenlehrerinnen, ohne daß sie Sakramente spendeten; sie haben nicht einmal Theologie studiert. In der caritativen, kontemplativen, politischen und intellektuellen, gerade pädagogischen Arbeit wurden sie Unzähligen eine Hilfe, bis zu Durchbrüchen in der Kultur. Zu schweigen von der Weitergabe des Lebens (die christliche Feministinnen kaum thematisieren), zu schweigen von der Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation, so in totalitären, aber auch in libertären Regimen, wo die Priester verschwinden.

Die Demokratie der Toten

Chesterton, ein anderer Engländer und Konvertit, sagte, die Moderne lege zwar einen ungeheuren Wert auf Demokratie, überhöre aber geflissentlich eine demokratische Mitsprache: die Demokratie der Toten. Beim Streit um die Priesterinnen haben die Generationen vor uns keine Stimme. Können Frauen erst dann ihre volle Würde entfalten, wenn sie am Altar stehen? Unterschwellig werden damit Radegundis, Hildegard, Hedwig, Caterina, Teresa von Avila, Mary Ward und die neueren, durchwegs komplizierteren Frauen abgewertet, überhaupt die zahllosen geistigen Schwestern, die vielen Marien, Magdalenen und Marthen dem Namen und Geiste nach. Sie stehen für eine alle Kraft entbindende Aufgabe, für das freie, gewaltige Charisma: das Wehen des Geistes in der Zeit.

„Ich glaube an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche.“ Wem die apostolische Verankerung unwichtig erscheint, muss auch das Eine, Heilige und Katholische anders bestimmen. Der Nachfolger des Petrus hat jedenfalls aus seiner Vollmacht gesprochen, wie schon seit den Anfängen. Diese Vollmacht ist nicht positivistisch gesetzt; sie gehört zum „dogmatischen Prinzip“ der Kirche, so John Henry Newman. Wohin aber führen „große Schritte, abseits vom Wege“?

C. S. Lewis formulierte zupackend wie immer (Time and Tide Bd. 29 (14. August 1948): „Einer der Zwecke, zu denen die Geschlechter geschaffen wurden, besteht darin, Gottes verborgene Eigenschaften zu symbolisieren. Einer der Zwecke der menschlichen Ehe besteht darin, das Wesen der Verbindung von Christus und Kirche zum Ausdruck zu bringen. Wir haben nicht das Recht, die lebendigen, fruchtbaren Symbole, die Gott auf die Leinwand unserer Natur gemalt hat, zu nehmen und umzudrehen, als seien sie bloß geometrische Symbole.

Der common sense wird das ‘mystisch’ nennen. Genau. Die Kirche beansprucht, die Trägerin einer Offenbarung zu sein. Ist dieser Anspruch falsch, so werden wir keine Priesterinnen schaffen wollen, sondern Priester abschaffen.“

[1] Inter insigniores. Über die Frage der Zulassung von Frauen zum Amtspriestertum, 15. Oktober 1976: AAS 69 (1977), 98-116.