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Die folgende Predigt hielt Bischof Dr. Bertram Meier im Rahmen der heute live übertragenen Messe aus dem Augsburger Dom. Eine Aufzeichnung des gesamten Gottesdiensts können Sie hier ansehen.

bischof bertram meier predigt auf youtube

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Die Stunde der Testamentseröffnung

Predigt von Bischof Dr. Bertram Meier im Augsburger Dom
am Gründonnerstag, 28.3.2024

„Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war“ (Joh 13,1). Wenn ein Mensch spürt, dass seine Stunde kommt, da er für lange Zeit oder für immer Abschied nehmen muss, dann lässt er seine Familie und seine Freunde noch einmal zusammenrufen. Und in dieser Stunde versucht er, den Menschen seines Vertrauens in aller Dichte noch einmal das mitzuteilen, was ihm selbst im Leben wichtig und wesentlich war. So wird eine Mutter vielleicht sagen: „Mein Kind, pass auf dieses oder jenes auf.“ Ein Freund fürs Leben wird aus tiefer Dankbarkeit heraus ansprechen dürfen, was ihm die Verbindung zum anderen bedeutet hat. Ein Geistlicher wird „seiner“ Gemeinde ein Wort mitgeben, das ihr Stock und Stab sein soll für ihren weiteren Weg. Die Stunde des Abschieds – eine Stunde des Dankes und der Wertschätzung, aber immer auch eine Stunde des Schmerzes und der Zerbrechlichkeit. Was bleibt zurück? Vielleicht ein wertvoller Gegenstand, ein Buch, ein Brief, ein Schmuckstück, ein Rosenkranz – etwas, was dem Menschen lieb und teuer war.

„Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war.“ Wer sie schon in Kana auf der Hochzeit erwartete, wurde enttäuscht: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Wer sie bei theologischen Streitgesprächen erhoffte, wurde eines Besseren belehrt: Seine Stunde war noch nicht gekommen. Doch heute ist sie gekommen – Seine Stunde, da Jesus seine Jünger zu einem Mahl versammelt. Wir sind es, die mit dem Herrn beim Abendmahl sitzen. „Als seine Stunde gekommen war, aus dieser Welt zum Vater heimzukehren“ (Joh 13,1), hinterließ er seinen Freunden sein Testament. Jesu Freunde: das sind wir. „Ich nenne euch nicht mehr Knechte (und Mägde), ich nenne euch Freunde.“ Die heutige Stunde – eine Stunde des Abschieds: kein Abschied mit leeren Händen, ein Abschied mit vollen Herzen: die Stunde einer Testamentseröffnung. „Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Heute Abend wird das Neue Testament eröffnet, und ich darf Ihnen versichern: Keiner wird leer ausgehen. Jeder ist zum Erben bestellt. Doch das Testament fordert mutige Erben, keine Nachlassverwalter, sondern Zukunftsbereiter. Wie ist das zu verstehen?

Wir haben soeben das Evangelium von der Fußwaschung gehört. Es war damals Sklavendienst, dem andern die Füße zu waschen. Jesus hat den Mut, diese Ordnung umzukehren. Das „Sichbeugen“ zum Sklavendienst ist Zeichen seiner Freiheit. Dies ist das Erste in Jesu Testament: MUT ZUM DIENEN.

„Wie stehst du zu ihr oder ihm?“ So fragen wir einander. Dabei spielen die unterschiedlichen Positionen eine wichtige Rolle. Wo stehst du: Höher? Tiefer? Auf gleicher Ebene? Bist du Kaplan oder Pfarrer, Professor oder Domkapitular, Monsignore oder Prälat, Bischof oder gar Kardinal? Bist du Postulantin oder Novizin, Junioratsschwester oder Silberjubilarin, Hausoberin oder Provinzoberin, Generalrätin oder gar Generaloberin? Bist Du hauptberuflich tätig oder ehrenamtlich, bist Du Laie oder Profi? Wir tragen – beim kleinsten Titel – nicht nur den Kopf hoch, sondern auch die Nase. Und Hochnäsige waschen den anderen lieber den Kopf als die Füße.

Jesus hatte den Mut zum Dienen. Er ist heruntergestiegen, auf die unterste Stufe. Er bückt sich tief nach unten, tiefer als die Jünger stehen oder sitzen. Es ist die wehrlose Liebe Gottes, die das tut. Die Liebe lässt sich nicht gnädig herab, sie ist schon unten. Wohlgemerkt: Es geht um die nackten Füße, nicht etwa um das feine Schuhwerk. Schuhe putzen – das ist schon allerhand. Wer lässt sich schon gern zum Stiefelputzer machen? Doch hier sind es nicht nur die Schuhe, sondern die Füße, mit denen wir auf der Erde stehen, die dreckig sind und stinken. Man muss sich bücken, wenn man sie waschen will, sehr tief, bis auf den Boden. Das ist peinlich, das fällt aus dem Rahmen.

Jesus rückt uns auf den Leib, peinlich dicht, hautnah ohne Berührungsängste. Das hat Konsequenzen für unseren Mut zum Dienen. Wir erwarten Jesus oft irgendwo oben im Himmel, und wir finden ihn unten auf dem Boden. Er ist nicht auf dem ersten, sondern auf dem letzten Platz, und das nicht nur auf Zeit! Der letzte Platz ist der Platz seines Lebens. Jesus lässt das Unterste und Niedrigste nicht unerledigt. Er ist sich für nichts zu schade. Sein Mut zum Dienen geht bis zum Kreuz. Danke allen, die sich mühen, diesen „Dienstweg Jesu“ nachzugehen. Durch ihren Dienst bauen und tragen Sie die Gemeinschaft.

Wenn wir auf die Reaktion der Gegenseite schauen, dann kommt der zweite Teil von Jesu Testament in den Blick: MUT, SICH BEDIENEN ZU LASSEN. Petrus greift sich an den Kopf, weil es ihm einfach nicht einleuchten will, was Jesus ihm hier (an)tut: „Was, du willst mir die Füße waschen?“ (Joh 13,6). Jesus erklärt es ihm: „Wenn ich dich nicht wasche, hast du keine Gemeinschaft mit mir“ (Joh 13,8). Gemeinschaft entsteht durch Geben, aber auch durch Nehmen. Denn niemand von uns kann alles geben. Keiner ist das Universalgenie, keiner ein Tausendsassa. Wir brauchen voreinander nicht Theater spielen. Wir dürfen auch bereit sein, uns – im rechten Sinn – bedienen zu lassen: Mut, sich bedienen zu lassen, d. h. sich selbst und anderen einzugestehen: „Ich brauche dich. Bei dir kann ich mich aussprechen. Von dir kann ich zehren. Du tankst mich auf.“ Oder mit dem hl. Papst Johannes XXIII. gesprochen: „Nimm dich selbst nicht so wichtig! Lass zu, dass auch andere dich mittragen auf deinem Weg!“ Eine solche Einstellung wirkt entlastend.

MUT ZUM DIENEN – MUT, SICH BEDIENEN ZU LASSEN: Das ist nur scheinbar ein Widerspruch. Das Testament Jesu umfasst beides und verweist auf eine Ebene, die tiefer liegt. In der Stunde am Kreuz wird sie offenbar: MUT, SICH GANZ HINZUGEBEN.

Es geht nicht mehr nur um eine wertvolle Sache, um die „Sache Jesu“, es geht um Jesus selbst. Er gibt nicht nur etwas von sich, ein Andenken, ein gutes Wort. Er setzt sich selbst aufs Spiel in unseren Händen. Wir haben Jesus in der Hand, im wahrsten Sinn des Wortes: Das Brot – es ist mein Leib für euch. Das ist der neue Bund in meinem Blut (vgl. 1 Kor 11,24f.). „Eine größere Liebe hat niemand, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde.“ (Joh 15,13)

Sich hingeben an einen Menschen, an Gott: Wie leicht ist es dahingesagt und wie viel wird dabei gelitten! Wer es ernst meint mit der Hingabe, dem bleibt auch die Verwundung nicht erspart. Nicht umsonst ist einer der tiefsten Schmerzen der Liebeskummer. Wer Zuneigung und Liebe will, muss gleichzeitig die eigene Verwundung zulassen. Anders geht es nicht. Sonst ist die Liebe nicht echt. Und weil das Christentum so viel von Liebe spricht, muss es auch so viel von Verwundung reden. Es verbirgt die Achillesferse nicht, wie in den alten Mythen der Unbezwingbarkeit; es lässt die Wunde zu und zeigt sie. Mehr noch: Ohne Wunden wird man gar nicht richtig Mensch. Deshalb brauchen wir uns als Christen, als Ordensleute, als Priester unserer Wunden nicht zu schämen. In Jesus sehen wir: Der Glaube an ihn ist nicht knallhart, ganz kühl und gnadenlos. Im Gegenteil: Jesus lässt sich verwunden, nicht nur körperlich am Kreuz, auch seelisch in seiner Angst: „Jetzt ist meine Seele erschüttert. Was soll ich sagen? Vater, rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen!“ (Joh 12,27f.)

Auch dies gehört zur Stunde Jesu, in sein Testament. Vom Abendmahlssaal führt der Weg zum Ölberg. Getsemani (aramäisch) heißt übersetzt: die Ölpresse. In Getsemani steht Jesus am Ort der Kelter. Dort ringt er mit seinem Vater, was denn dessen Wille sei. Er kommt ins Schwitzen, wie wir, wenn wir an unsere Ölbergsstunden denken: „Vater rette mich aus dieser Stunde!“ In Getsemani ereignet sich noch etwas: Jesu Stunde wird zur Stunde der Kirche. Und gerade als ihre Stunde kommt, schläft die Kirche ein: Petrus, der Erste, das Amt; Johannes, der Nächste, der Lieblingsjünger, und Jakobus, der Treue, der sich so sehr darum mühte, dass die jüdische Tradition gewahrt blieb. Die Kirche der ersten Stunde ist eingeschlafen: „Konntet ihr nicht einmal eine Stunde mit mir wachen?“

Der Herr soll uns nicht schlafend antreffen. Auch in dieser Kirche wollen wir heute Nacht mit ihm wachen und beten. Es wäre schön, wenn sich der eine oder andere von Ihnen noch ein wenig Zeit nehmen könnte, um dazubleiben, um wachend bei Ihm zu sein, einfach da zu sein mit ihm und für ihn – als kleines Zeichen der Treue.

Viele tragen einen Ring der Treue: einen Ehering oder Professring, manche auch einen Bischofsring. Es ist bezeichnend, dass die italienische Sprache dasselbe Wort gebraucht für den Ring der Treue und den Glauben: la fede. Das schlägt die Brücke zu einem eindrucksvollen Symbol göttlicher und menschlicher Treue, das der Künstler Egino Weinert geschaffen hat. Aus 200 Professringen verstorbener Ordensschwestern gestaltete er eine kleine Monstranz. Jeder einzelne Ring ist ein Hinweis auf das lebenslange Bemühen eines Menschen, Christus treu zu sein. Jeder einzelne Ring weist aber auch hin auf die Nahrung dieser Treue: Das Brot des Lebens, Jesus Christus selbst, der den Mut hatte, sich ganz hinzugeben. Der Dienst der Schwestern, die diese Ringe einst trugen, lebte aus der Kraft der Eucharistie und nahm täglich neu Maß an der Hingabe und Treue dessen, der sich in seinen Erdentagen für die Menschen verzehrte und sich als Testament von uns im Sakrament selbst verzehren lässt.

Ein Zeichen für diese Hingabe können auch wir setzen. Es geht nicht nur um das Schaugefäß aus Edelstein und Gold, das die Hostie birgt. Es geht darum, dass unser ganzes Leben immer mehr zu einer Monstranz dafür wird, dass Jesus in unserer Welt gegenwärtig ist. Ihr seid meine Freunde, sagt Jesus uns an diesem Abend, in dieser Stunde, die seine Stunde ist: die Stunde des Testaments, seine Stunde für uns. Machen wir unser Herz weit, damit es auch unsere Stunde wird für ihn.