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Die Liebe zu Gott, so Dr. Pia Sommer, sollte sich auch im konkreten Leben, in der Tat, im Halten der Gebote zeigen. Die Angleichung an Jesus geschieht aber nicht nur durch rein äußerliches Kopieren – wenn wir Gott wirklich lieben, dann verbringen wir Zeit mit ihm.

Dr. Pia Sommer, Eichstätt

6. Ostersonntag

Joh 14,23-29

Haben Sie das auch schon einmal erlebt? Wenn Sie verliebt sind oder jemanden lieben, dann fällt es nicht schwer, dem Geliebten zuliebe etwas zu machen oder auf etwas zu verzichten. Da wird es plötzlich einfach, abzunehmen oder Sport zu machen, früh aufzustehen, um mit dem Geliebten etwas zu unternehmen oder stundenlang einer Tätigkeit nachzugehen, die dem Geliebten Freude bereitet.

Verliebte strengen sich an

Man interessiert sich für das, was der Geliebte interessant findet, ja, man fühlt sich imstande, wie man so schön sagt, für den Geliebten die Sterne vom Himmel zu holen. Die Liebe macht Unmögliches möglich und überwindet nahezu alles. Und: sie nimmt die damit verbundenen Anstrengungen gerne auf sich. So ähnlich kann und sollte es auch mit der Liebe zu Gott sein. Doch leider empfinden wir gerade in diesem Bereich so manches eher als eine Pflicht oder als eine nicht zu hinterfragende Routine. Dass es gerade im geistlichen Bereich auch um Liebe, um eine persönliche Liebesbeziehung gehen könnte, ist uns vielleicht oft nicht bewusst.

Was ist das Motiv unseres religiösen Handelns?

Heute werden wir im Evangelium hinterfragt, was das Motiv unseres religiösen Handelns ist und was uns die Liebe zu Jesus Christus wert ist. Jesus erklärt uns, wie sich die Liebe zu ihm zeigt: „Wer mich liebt, hält an meinem Wort fest“, so heißt es im heutigen Evangelium. Interessant ist dabei, dass Jesus schon einige Verse zuvor zweimal darüber mit ähnlichen Worten gesprochen hat. Dort nennt er als Kennzeichen der Liebe zu ihm das Halten der Gebote: „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten“ (Joh 14,15.21). Auch bei Jesus ist es also nicht ausreichend, dass wir ihm in unseren Gebeten zusichern, dass wir ihn lieben, wie wir es vielleicht so oft und manchmal auch sehr gedankenlos tun. Auch die Liebe zu Jesus, zu Gott, erweist sich im konkreten Leben, in der Tat, im Halten der Gebote, im Festhalten an seinem Wort.

Jesus Haltungen und Lebensweisen nachahmen

Bei den oben erwähnten Stellen geht es aber weniger um das Einhalten einzelner Gebote oder dem Festhalten an bestimmte Worte, sondern vielmehr ganz grundsätzlich um das Achten, das Bewahren, ja das Nachahmen der Haltungen und der Lebensweise Jesu. Ausdruck der Liebe zu Jesus ist es, sich an ihn anzugleichen. Und das ist wieder so ähnlich wie bei einem menschlichen Geliebten: Bei manchen Ehepaaren oder auch bei Personen, die viel Zeit miteinander verbringen, merkt man, dass sie Ausdrücke und Gesten voneinander ganz unbewusst übernehmen, dass sie dieselben Ansichten vertreten, dass sie sich nach und nach aneinander angleichen, und zwar ohne große Anstrengung.

„Am Anfang des Christseins, am Anfang des geistlichen Lebens steht die persönliche Begegnung mit einer Person, mit Jesus Christus“

 

Die Angleichung an Jesus geschieht ebenfalls nicht nur in einem rein äußeren Kopieren von seinen Tätigkeiten. Wenn wir Jesus wirklich lieben, dann verbringen wir Zeit mit ihm, dann betrachten wir seine inneren Haltungen und seine Lebensweise und werden ihm so nach und nach auch innerlich angeglichen. Und das ist wohl das Besondere des Christentums. Das Christentum ist keine Buchreligion, wie man des Öfteren hört. Es ist kein kaltes Lehrsystem oder eine Aufstellung verschiedener ethischer Regeln, die einzuhalten sind, wenn man Christ werden will. Am Anfang des Christseins, am Anfang des geistlichen Lebens steht die persönliche Begegnung mit einer Person, mit Jesus Christus, dem fleischgewordenen Wort, worauf Papst Benedikt XVI. wiederholt hingewiesen hat. Nicht das Befolgen von bestimmten Gesetzen oder Moralvorstellungen, die ohne Zweifel wichtig sind und auch ihre Berechtigung haben, ist also für uns Christen entscheidend. Die Grundlage, das Motiv unseres geistlichen Handelns, ist die Liebe zu Christus und keine äußerlich auferlegten und oft als Einschränkungen empfundenen Regelungen, die wir, wenn wir uns unbeobachtet glauben, zu umgehen suchen.

Dankbarkeit für unser Sein und die Erlösung?

Und hier ist es sehr lohnend, sich einmal selber die verschiedenen Motive unseres geistlichen Lebens vor Augen zu führen. Ist es tatsächlich die Liebe und das Vertrauen zu Gott, die Dankbarkeit über mein Sein und die Erlösung, die mich drängen, mein Leben nach Gott auszurichten? Oder ist es das Gefühl und die Furcht, für das ewige Heil eben etwas leisten zu müssen, es sich sozusagen zu verdienen. Oder ist unsere Beziehung zu Gott eher eine Gewohnheit, eine Routine, eine Art Brauchtum, das man halt so macht, weil es sich gehört? Vielleicht werden wir in unseren Herzen von allem ein bisschen finden. Doch kann uns diese Erkenntnis helfen, die Liebe zu Christus in uns immer mehr wachsen zu lassen und zur Grundlage und Motiv unseres geistlichen Lebens zu machen.

Die Verheißung Jesu

Wechseln wir nun aber die Perspektive. Bisher haben wir gesehen, wodurch sich unsere Liebe zu Jesus erweist: durch das Halten der Gebote, dem Festhalten an seinem Wort, der liebenden Angleichung an ihn. Jesus teilt uns in den sich anschließenden Versen mit, wodurch sich die Liebe Gottes zu uns zeigt und wieviel unsere Liebe in den Augen Gottes wert ist. „Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen.“ (V. 23). Jesus verheißt uns als Lohn für die Liebe zu ihm die Liebe des Vaters und das Wohnen Gottes in uns. In diesen Worten Jesu geht die alttestamentliche Verheißung des Wohnens Gottes bei seinem Volk in unfassbarem Ausmaß in Erfüllung: Im Alten Bund wurde die Gegenwart Gottes, sein Wohnen unter den Menschen insbesondere in der Bundeslade gesehen.

„Das Bild des Himmels: das Durchdrungensein von Gott, das Wohnen bei Gott, das In-Gott-Sein.“

Die Bundeslade wurde nach dem Bau des Tempels im Allerheiligsten aufbewahrt, das nur der Hohepriester einmal im Jahr betreten durfte. In der zweiten Lesung aus der Offenbarung des Johannes wird ebenfalls das Bild von der Wohnung Gottes unter den Menschen aufgegriffen, allerdings auf ganz andere Art. Johannes sieht in einer Vision die heilige Stadt Jerusalem herrlich geschmückt aus dem Himmel herabkommen. Es gibt dort keinen Tempel. Auch Sonne und Mond sind unnötig, weil die Herrlichkeit Gottes die gesamte Stadt durchdringt und erleuchtet. Das ist das Bild des Himmels: das Durchdrungensein von Gott, das Wohnen bei Gott, das In-Gott-Sein.

Lohn unserer Liebe

Und genau das verspricht uns Jesus hier als Lohn für unsere Liebe zu ihm schon jetzt: „Wir werden kommen und bei ihm wohnen“. Gott will nun in uns Menschen selbst Wohnung nehmen, so dass der Mensch selbst zur Bundeslade und zu einem Tempel Gottes wird. Der Liebende liebt es beim Geliebten zu sein, und so ist es die tiefste Sehnsucht Gottes schon jetzt bei uns zu sein. Dieser Gedanke sollte uns eigentlich einen Schauer über den Rücken jagen, wenn wir bedenken, wer Gott ist und wer wir sind. Mir persönlich hilft dabei immer wieder ein vielleicht etwas ungewöhnlicher Vergleich des spanischen Kirchenlehrers Johannes von Ávila, einem Priester aus dem 16. Jahrhundert, der diese Liebe Gottes zu uns verdeutlicht.

Wohnen bei einem Würmlein?

Johannes von Ávila schreibt, dass die Liebe Gottes zu uns Menschen viel verrückter sei, als wenn sich ein Mensch in ein kleines Würmlein verlieben würde. Die Liebe eines Menschen zu einem kleinen Würmlein ist für uns Menschen eine unfassbare und absurde Vorstellung. Wer von uns würde aus Liebe zu einem Würmlein bei und in diesem Würmlein wohnen wollen? Und doch ist der Abstand zwischen Gott und uns unendlich größer als zwischen einem Menschen und einem Würmlein.

„Leo der Große: Verjage nicht durch deine Sünden den hohen Gast“

Das Wohnen Gottes in uns ist in der Taufe bereits Realität geworden. Wir sind zu einem Tempel Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes geworden. „Christ, erkenne deine Würde!“, so erinnert uns Leo der Große. Und er ermahnt uns weiter: „Du bist der göttlichen Natur teilhaftig geworden, kehre nicht zu der alten Erbärmlichkeit zurück und lebe nicht unter deiner Würde…. Verjage nicht durch deine Sünden den hohen Gast, der in dir Wohnung genommen hat.“ Vom hl. Leonidas, einem Soldat des alexandrinischen Heeres, wird berichtet, dass er, wenn er nach Hause kam, immer zuerst zur Wiege seines neugetauften Sohnes ging – es war Origines – und voll Ehrfurcht dessen Brust küsste, um so den Heiligen Geist anzubeten, dessen Tempel er war.“

Teresa von Avila: Die Seele als klarer Kristall

Die hl. Teresa von Ávila fasst dieses Geheimnis in ihrem bekannten Buch, „Die Seelenburg“ oder „Die innere Burg“ in ein wunderschönes Bild. Sie vergleicht die Seele, mit einem unendlich schönen aus einem einzigen Diamanten oder sehr klaren Kristall bestehenden Palast, in dem es viele Gemächer gibt und in dessen Innersten Gott selbst wohnt. Und weiter schreibt die große Kirchenlehrerin: „Hätte ich es damals erkannt, dass in dem kleinen Palast meiner Seele ein so großer König wohnt, ich glaube ich hätte ihn nicht so oft allein gelassen.“ Und Ähnliches erfährt auch der hl. Augustinus, wenn er in seinen Bekenntnissen schreibt: „In mir warst Du, oh Herr, verborgen in der Seele, doch fand ich Dich nicht. Ich suchte Dich draußen, geblendet von der Schönheit Deiner Geschöpfe.“ Diese Einwohnung Gottes in uns ist wohl eines der tiefsten Geheimnisse unseres Glaubens, das wir leider oft nicht präsent haben. Vielleicht kann das heutige Evangelium Anlass sein, sich dieser göttlichen Gegenwart in uns bewusst zu werden und öfter einmal bei dem göttlichen Gast zu verweilen?

„Der Heilige Geist, die göttliche Lebenskraft, macht uns erst gott-fähig.“

Mit diesem Geheimnis der Einwohnung Gottes in unseren Herzen ist auch die folgende Verheißung Jesu eng verknüpft: „Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ (V. 26) Der Heilige Geist, der Beistand, ist das große Geschenk, das wir als Frucht der Erlösung erhalten: Der Heilige Geist ist das göttliche Leben, die Liebe selbst, der uns Menschen überhaupt erst fähig macht, in eine Gemeinschaft mit Gott einzutreten. Der Heilige Geist, die göttliche Lebenskraft, macht uns erst gott-fähig. Und so sind der Sohn und der Vater nur durch und im Heiligen Geist in uns gegenwärtig.

Neue Weise der göttlichen Gegenwart

War Jesus vor seinem Tod und seiner Auferstehung in seiner leibhaftigen, aber doch begrenzten Gestalt bei seinen Jüngern gegenwärtig, so bricht nun eine neue Weise der göttlichen Gegenwart bei uns Menschen an: Im Heiligen Geist ist uns ein göttlicher Beistand geschenkt, der uns nie verlässt und ständig bei uns ist, den wir immer um Rat fragen können und der unseren Weg erleuchtet. Wenn wir auf diesen göttlichen Gast in uns achten, wird er uns nicht nur alles lehren, sondern auch die Kraft geben, danach zu handeln. Mit einem solchen Gast und Beistand in unserem Herzen brauchen wir nichts zu fürchten, was äußerlich auch geschehen mag. Wir dürfen uns die Worte von Jesus zusprechen lassen: „Frieden gebe ich euch“ – „Euer Herz beunruhige sich nicht“. Denn wenn wir Gott in uns tragen, was kann uns dann noch geschehen?
(radio vatikan – redaktion claudia kaminski)

Unser Sonntag: Im Mai mit Dr. Pia Sommer

Im Mai begeitet uns bei „Unser Sonntag“ Dr. Pia Sommer. Sie studierte Philosophie, Germanistik und Katholische Theologie. Nach einigen Jahren als Gymnasiallehrerin war sie als wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Dogmatik und Dogmengeschichte bzw. Spiritualität und Homiletik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt tätig.

Dort wurde sie mit einer Arbeit über den Heiligen Geist in der Heilsgeschichte zur Pneumatologie von Johannes von Ávila (†1569) im Fach Dogmatik und Dogmengeschichte promoviert.

Derzeit ist sie Leiterin der Hauptabteilung Jugend, Berufung, Evangelisierung des Bischöflichen Ordinariats Eichstätt. Pia Sommer ist Mitglied im Katholischen Säkularinstitut der Cruzadas de Santa Maria.

(radio vatikan – redaktion claudia kaminski)