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Im Gleichnis vom Gebet des Pharisäers und des Zöllners, so Prof. Schwienhorst-Schönberger, wird der innere Zusammenhang von Anthropologie und Theologie deutlich. Der Pharisäer im Gleichnis repräsentiert die Mentalität derer, denen Jesus das Gleichnis erzählt. Sie sind von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt. Aber auch sie sind in die Macht der Sünde verstrickt.
Prof. Dr. Ludger Schwienhorst-Schönberger

Lk 18,9–14, Lesejahr C

Wie bereits im Evangelium des vergangenen Sonntags, so geht es auch im heutigen Evangelium um das Gebet. Offensichtlich bedarf das Beten einer Belehrung und einer Übung, damit es fruchtbar werden kann. Jesus stellt uns zwei Kontrastfiguren vor Augen: einen Pharisäer und einen Zöllner. Beide gehen hinauf zum Tempel, um zu beten. Sie beten auf unterschiedliche Weise.

Der Pharisäer spricht ein Dankgebet, der Zöllner bittet Gott um Barmherzigkeit. Im Dankgebet des Pharisäers spielt das Ich eine Schlüsselrolle, im Gebet des Zöllners das Du. Zwar sprechen beide in ihrem Gebet Gott an, doch der Pharisäer wechselt unmittelbar nach der Anrede Gottes zu sich selbst. Er dankt Gott nicht für das, was dieser an ihm getan hat, sondern er dankt Gott für das, was er selbst getan hat und weiterhin tut und vor allem für das, was er dank seines Tuns geworden ist: „Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den zehnten Teil von allem, was ich erwerbe.“

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UNSER SONNTAG mit Prof. Dr. Ludger Schwienhorst-Schönberger

„Dankgebet“ und ehrliche Bitte um Barmherzigkeit

Kann man einem anderen für das danken, was man ihm gar nicht verdankt? Offensichtlich tappt der Pharisäer in die Falle einer subtilen Täuschung. Oberflächlich gesehen mag es durchaus sein, dass er keinen Raub, keine Betrügereien und keinen Ehebruch begangen hat. Doch, wie wir noch sehen werden, die Problematik liegt tiefer. Der Pharisäer stellt sich selbst da – vor Gott. Gott ist für ihn eine Art von Kulisse, vor der er seine Gerechtigkeit präsentiert. Im griechischen Text heißt es wörtlich: „Er sprach bei sich selbst dieses Gebet“.

„Man könnte auch übersetzten: „Zu sich selbst betete er dieses“.“

Man könnte auch übersetzten: „Zu sich selbst betete er dieses“. Der Pharisäer bleibt ganz in seinem Ich gefangen. Der Gedanke, dass aus ihm noch etwas anderes werden könnte, wenn er bereit wäre, sich Gott und seinem Wirken gegenüber zu öffnen, kommt ihm offensichtlich nicht in den Sinn. Sein Gebet ist statisch. Er hält sich selbst für gerecht.
Ganz anders der Zöllner. Er bleibt in der Ferne stehen, wagt kaum, seine Augen zum Himmel zu erheben, schlägt sich an die Brust und betet: Gott, sei mir Sünder gnädig.

Der Pharisäer wird nicht gerechtfertigt

In der abschließenden Deutung des Gleichnisses kehrt Jesus die Rollen um. Der Zöllner, der als Sünder betend vor Gott tritt, kehrt als Gerechter heim; der Pharisäer hingegen, der sich als Gerechter vor Gott hinstellt, wird nicht geerchtfertigt: „Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ (Lk 18,14).
Damit wird etwas sehr Grundsätzliches über das Verhältnis zwischen Gott und Mensch ausgesagt. Bereits im ersten Buch des Alten Testaments, im Buch Genesis, werden uns zwei unterschiedliche Formen des menschlichen In-der-Welt-Seins vor Augen gestellt. Am Ende der Urgeschichte wollen die Menschen groß herauskommen und sich einen Namen machen.

Die Menschen wollen groß herauskommen

Sie bauen sich eine Stadt und einen Turm, dessen Spitze bis zum Himmel reicht. Doch das Projekt scheitert. Gott bringt Verwirrung über die Menschen, so dass sie sich zerstreuen und ihr Vorhaben aufgeben müssen. Ihre Pläne waren auf Sand gebaut. Ganz anders die Geschichte, die mit Abraham beginnt. Hier ist Gott derjenige, der handelt. Er will Abraham einen großen Namen verschaffen. Im Buch Genesis heißt es: „Der HERR sprach zu Abram: Zieh weg aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein“ (Gen 12,1f).

„Gregor von Nyssa: Es gibt keine Gotteserkenntnis ohne Selbsterkenntnis“

Seine wahre Größe findet der Mensch nicht durch eigene Anstrengung, sondern dadurch, dass er sich Gott öffnet und bereit ist, sein Wirken anzunehmen. Gott macht den Mensch groß. Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Das setzt allerdings eine realistische Selbstwahrnehmung voraus. Es gibt keine Gotteserkenntnis ohne Selbsterkenntnis, sagt Gregor von Nyssa. Die Bibel hilft uns, zur wahren Selbsterkenntnis zu finden. In der Urgeschichte wird erzählt, wie sich der Mensch aus der Nähe Gottes entfernt hat. Er hat nicht auf die Stimme Gottes, sondern auf die Stimme eines Geschöpfes gehört und Gottes Gebot übertreten. Damit ist die Sünde in der Welt. Ihrer Macht kann sich kein Mensch entziehen.

Es gibt nicht einen, der gerecht ist

Alle haben gesündigt, sagt der Apostel Paulus: „Es gibt keinen, der gerecht ist, auch nicht einen“, lesen wir im Römerbrief (Röm 3,10). Dem Zöllner wird diese Wahrheit in erschütternder Weise bewusst. Er stellt sich im Gotteshaus weit hinten hin und bringt damit zum Ausdruck, dass er sich von Gott entfernt hat. Er bittet um Gottes Barmherzigkeit. Aus der Macht der Sünde kann sich kein Mensch durch eigene Anstrengung befreien. Darin täuscht sich der Pharisäer.
Bei diesen Einsichten handelt es sich nicht um theologische Spitzfindigkeiten. Vielmehr haben sie eine enorm praktische Bedeutung. Diese zeigt sich vor allem im Gebet. Nur wenn der Beter bereit ist einzusehen, wie es in Wahrheit um ihn bestellt ist, kann das Gebet zu einem Weg der Wandlung werden. Nur wer bereit ist, sich von den subtilen Mechanismen der Selbsttäuschung befreien zu lassen, und sich Gottes Barmherzigkeit vorbehaltlos anvertraut, geht er „als Gerechter nach Haus“.

Der innere Zusammenhang zwischen Anthropologie und Theologie

Das Gleichnis macht uns auf den inneren Zusammenhang von Anthropologie und Theologie aufmerksam. „Einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, erzählte Jesus dieses Gleichnis.“ Der Pharisäer im Gleichnis repräsentiert die Mentalität derer, denen Jesus das Gleichnis erzählt. Sie sind von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt.

Dass auch sie in die Macht der Sünde verstrickt sind und der göttlichen Barmherzigkeit bedürfen, wie Israel in den Psalmen bekennt, kommt ihnen nicht in den Sinn. Von daher ist es folgerichtig, dass der Pharisäer Gott um nichts bittet. Warum sollte er auch? Mit ihm, so seine Überzeugung, ist alles in Ordnung. Doch damit unterliegt er einer Täuschung. Und zugleich verschließt er sich der verändernden Kraft des Gebetes.

Im wahren Beten muss dieses falsche Ich zugrunde gehen.

Der Dominikaner und bedeutende Lehrer des geistlichen Lebens Johannes Tauler hat diese Einsicht so ausgedrückt:
Wenn der Mensch in der Übung der inneren Einkehr steht,
hat das menschliche Ich für sich selbst nichts.
Das Ich hätte gerne etwas und es wollte gerne etwas und es wüsste gerne etwas.
Bis dieses dreifache Etwas in ihm stirbt,
kommt es dem Menschen gar sauer an.
Das geht nicht an einem Tag und nicht in kurzer Zeit.
Man muss dabei aushalten,
dann wird es zuletzt leicht und lustvoll.

(radio vatikan – redaktion claudia kaminski)