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Dr. Pia Sommer geht davon aus, dass wir in Alltagslärm und Stress oft überfordert sind, auch die Stimme Gottes zu hören und von anderen Stimmen zu unterscheiden. Wenn wir Jesus Zeit widmen, wird die Stimme des Herrn vertrauter – und es geht um das ewige Leben, das uns niemand nehmen kann.

Dr. Pia Sommer, Eichstätt

Joh 10, 27–30

4. Sonntag Osterzeit C

Mit dem heutigen Sonntag erreichen wir hinsichtlich der Evangelienauswahl eine Art Wendepunkt in der österlichen Zeit. Nicht mehr die einzelnen Erscheinungen des Auferstandenen sind von nun an Thema des Evangeliums. Vielmehr bereiten diese uns immer mehr auf das kommende Pfingstfest vor.

Sonntag des guten Hirten

Wir werden immer tiefer eingeführt in das Geheimnis der Dreifaltigkeit und die Gaben und Gnaden, die uns mit der Erlösung geschenkt worden sind, werden vor unseren Augen entfaltet.
Heute feiern wir den sogenannten Gute-Hirte-Sonntag. Bereits letzte Woche haben wir bei der Erscheinung Jesu am See von Genesareth gehört, wie Jesus den Simon Petrus trotz seiner dreimaligen Verleugnung erneut damit beauftragt, die Lämmer und Schafe der Herde Christi zu weiden. Im heutigen Evangelium nun geht es um den guten Hirten und seine Beziehung zu den Schafen.

„Das Bild des Hirten ist schon im AT ein gebräuchliches Bild: Bei Jeremia, Ezechiel oder auch Sacharja werden die Führer des Volkes Israel mit guten oder schlechten Hirten verglichen“

Vor einigen Jahren habe ich in einer Pfarrei einen Vortrag gehört, bei dem der Redner dieses Bild des Hirten mit den Schafen heftig kritisiert hat. Es sei das Bild eines unmündigen Christentums, der Hirt übe mit dem Stab eine Autorität aus und überhaupt seien Schafe einfach dumme Tiere. Sicherlich, jeder Vergleich und jedes Bild hat seinen Begrenzungen. Wir Christen sind keine Schafe und wir essen auch kein Gras. Dennoch kann gerade durch dieses Bild des Hirten mit den Schafen Wichtiges ausgedrückt werden. Das Bild des Hirten ist schon im AT ein gebräuchliches Bild: Bei Jeremia, Ezechiel oder auch Sacharja werden die Führer des Volkes Israel mit guten oder schlechten Hirten verglichen. In den Psalmen und einigen Propheten ist Jahwe selbst der gute Hirte, der sich um sein Volk sorgt. Beim Bild des Hirten geht es um die Beziehung des Hirten zu seinem Schaf, um das gegenseitige Kennen und Erkennen. Ein guter Hirt kennt jedes einzelne seiner Schaf beim Namen, er liebt es, er sorgt für es, er verteidigt es mit seinem Leben und führt es zu fetten Weiden – und auch umgekehrt kennen die Schafe ihren Hirten und hören auf seine Stimme.

Die Stimme des Hirten erkennen

Vor einiger Zeit habe ich eine Geschichte gelesen, die mich sehr beeindruckt hat: Es wurde berichtet, dass ein Hirte, der in der Nähe von Karlsruhe lebt, eines Tages feststellen musste, dass seine ganze Schafherde verschwunden war. Über 100 Tiere waren weg. Erst suchte er sie natürlich, aber er fand sie nicht mehr. Also ging er zur Polizei und meldete, dass jemand alle seine Schafe gestohlen hatte. Die Polizisten machten sich auf die Suche. Kurz darauf erfuhren sie, dass 5000 Schafe von Köln aus mit der Bahn ins Ausland gebracht werden sollten. Sie informierten den Hirten. Der kam zum Güterbahnhof Köln, als die Schafe dort verladen wurden. Während die ganzen 5000 Tiere an ihm vorbeizogen, rief der Hirte immer wieder einen Lockruf. Da geschah etwas ganz Erstaunliches: Da und dort brachen ein paar Schafe aus der Riesenherde aus und liefen zu dem Hirten. Immer mehr Tiere kamen zu ihm. Am Ende war es genau die Anzahl der Schafe seiner Herde, die sich aufgeregt um ihn drängte. Sie hatten die Stimme ihres Hirten erkannt und waren ihr sofort gefolgt. Das war auch der Polizei Beweis genug, dass genau diese Anzahl der Schafe die seinen waren.

„Schon das Hören auf die Stimme Gottes stellt uns vor eine Herausforderung“

Und genauso charakterisiert Jesus seine Schafe im Evangelium: „Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie und sie folgen mir.“ (V.27)
Zwei Eigenschaften der Schafe sind dabei herausgehoben: Die Schafe hören zum einen auf die Stimme des Hirten, sie kennen seinen Lockruf und – das ist das Zweite – sie folgen dem Hirten. Was heißt das nun für uns? Schon das Hören auf die Stimme Gottes stellt uns vor eine Herausforderung. Wir sind in unserem Alltag oft im Stress, umgeben von Lärm, von einer Vielzahl von Stimmen und sind oft überfordert, die Stimme Gottes darin zu hören und sie von anderen Stimmen zu unterscheiden.

Zeit nehmen, um Jesu Sorge und Liebe um uns kennenzulernen

Um auf die Stimme Gottes hören und sie von anderen unterscheiden zu können, ist es zunächst einmal erforderlich, die Stimme Gottes gut kennenzulernen. Genau wie ein Schaf sich den Lockruf des Hirten zueigen machen, also eine gewisse Zeit mit dem Hirten verbringen muss, und genau wie ein Schaf während dieser Zeit erfahren darf, dass der Hirt für es sorgt, dass er sich in Krankheit um es kümmert, es weidet und tränkt, dass er es auf seinen Armen trägt, wenn es nicht mehr weiter kann, so ist es auch mit uns. Auch wir dürfen uns Zeit nehmen, um Jesus, unseren guten Hirten, seine Sorge und Liebe um uns kennenzulernen. Das Kennenlernen geschieht dabei weniger durch das Studium der Fakten über Jesus, sondern vielmehr durch das Beisammensein mit ihm. Vielleicht können wir uns tatsächlich täglich eine Zeit der Stille nehmen, in der wir auf Gott hören und ihm unser Herz öffnen? Vielleicht lesen wir jeden Tag einen Abschnitt der Heiligen Schrift und betrachten ihn einige Minuten in der Stille?

Unterscheidung der Stimmen

Dann werden wir erfahren, dass Jesus durch diese Stelle ganz persönlich auch in unser konkretes Leben spricht und uns wie der gute Hirte führen will. Je vertrauter wir mit dem Klang seiner Stimme sind, desto leichter wird es uns im Alltag fallen, diese Stimme des guten Hirten von den anderen Stimmen des Egoismus, der Welt und des bösen Geistes zu unterscheiden.
Das zweite Merkmal der Schafe ist nicht weniger herausfordernd: Die Schafe folgen der Stimme des Hirten. Sie machen sich keine Gedanken, wieso man jetzt schon von der fetten Weide gehen muss, sie sorgen sich nicht, wohin man geht – und wissen es auch nicht besser, wo es in ihren Augen eine noch viel bessere Weide gibt… sie vertrauen dem Hirten und folgen ihm. Und das ist es, was uns oft so schwerfällt: Jesus zu folgen und in den Plan Gottes einzustimmen, insbesondere wenn dieser von unseren eigenen, oft so begrenzten Plänen abweicht.

Der Herr hat Größeres und Besseres mit uns vor

Jesus, dem guten Hirten zu folgen, heißt aber nicht, den Verstand ausschalten zu müssen, sondern sich bewusst dafür zu entscheiden, ihm zu vertrauen und sich seiner Führung zu überlassen. Die Voraussetzung hierfür ist ebenfalls im heutigen Evangelium genannt: Der Hirt kennt die Schafe. Jesus kennt uns besser als wir uns selbst – und liebt uns mehr als wir es je könnten. Der Herr hat Größeres und Besseres mit uns vor, als wir es uns vorstellen könnten. Mit diesem Wissen können wir uns dem Hirten anvertrauen, der uns als Hirt stets vorausgeht. Wir Christen müssen also nie allein auf einem unbekannten Weg gehen. Christus, der guter Hirte, geht voran, wir Christen folgen ihm nur nach.

Es geht um ewiges Leben…

Jesus spricht im heutigen Evangelium aber über mehr: Er ist der vollkommen gute Hirt – und dementsprechend ist auch die Gabe vollkommen, die er denen schenkt, die ihm folgen: „Ich gebe ihnen ewiges Leben“ (V. 28), so verspricht uns Jesus. Es geht in unserer Nachfolge also nicht nur um das, was uns direkt vor Augen liegt, sozusagen um die erstbeste Weide, auf der Gras wächst. Es geht um mehr. Es geht um ewiges Leben, das uns niemand nehmen kann, wenn wir bei unserem guten Hirten bleiben. Seit Alters her ist das ewige Leben eine Grundsehnsucht des Menschen. Viele Forscher bemühen sich um eine Verlängerung des irdischen Lebens mittels verschiedener Techniken, wovon Einfrieren nur eine ist. Ja, selbst in vielen Märchen geht es immer wieder um die Suche nach dem Wasser des Lebens, bei der die Prinzen gefährliche Abenteuer zu bestehen haben.

„Ewiges Leben ist, wie es Papst Benedikt XVI. einmal ausgedrückt hat, „ein Beziehungsereignis“.“

Uns Christen nun hat der gute Hirt das ewige Leben bereits gegeben. In der Taufe ist es jedem Einzelnen geschenkt worden, auch wenn wir dieses Geschenk nicht selten wenig beachten. Was aber ist das ewige Leben? Ewiges Leben ist, wie es Papst Benedikt XVI. einmal ausgedrückt hat, „ein Beziehungsereignis“. Das ewige Leben erhält der Mensch nicht als ein unabhängiges, in sich abgeschlossenes Geschenk, sondern das ewige Leben besteht in und durch die „Beziehung zu dem, der selbst das Leben ist“ . Uns ist ewiges Leben geschenkt durch unsere Beziehung zu Jesus, dem guten Hirten, der uns zu „den Quellen führen wird, aus denen das Wasser des Lebens strömt,“ wie es in der großen Himmelsvision in der zweiten Lesung aus der Offenbarung des Johannes heißt.

Teilhabe am Leben selbst

Nur in und durch Christus ist uns ewiges Leben geschenkt, denn er ist das Leben und gibt uns Anteil daran. Ewiges Leben ist also nicht eine unendliche Aneinanderreihung von Zeit, sondern die Teilhabe am Leben selbst, die Teilhabe an der Gemeinschaft mit Gott.
Was nun folgt ist eine wunderbare Verheißung Jesu, die uns immer wieder neu aufrichten und stärken kann: „Sie werden niemals zugrunde gehen und niemand wird sie meiner Hand entreißen. Mein Vater, der sie mir gab, ist größer als alle und niemand kann sie der Hand meines Vaters entreißen. Ich und der Vater sind eins.“ (V. 28f)
Uns ist nicht nur bereits jetzt ewiges Leben geschenkt, sondern wir dürfen uns in der Hand des Sohnes und des Vaters auch geborgen und beschützt wissen. Niemand kann uns dieser Hand entreißen, denn der Vater ist größer als alles, größer als die Bedrohungen in der Welt, größer als ein Virus und größer als alle Probleme, die mir in meinem Alltag die Hoffnung und den Glauben rauben.

„Wir sind in die lebendige Beziehung, in den liebenden Austausch von Vater und Sohn bereits jetzt hineingenommen“

Der gute Hirt hat uns in seiner Hand, doch ist die Hand des guten Hirten kein Klammergriff, der uns die Freiheit nimmt. Niemand kann uns der Hand Gottes entreißen, doch wir können die Geborgenheit des Hirten freiwillig verlassen und unseren eigenen Wegen folgen. Wenn wir die letzten Worte des heutigen Evangeliums „Ich und der Vater sind eins“ näher betrachten, dann erkennen wir den tiefsten Grund für diese Sicherheit. Wenn wir in der Hand des Sohnes und des Vaters geborgen sind, die eins sind, dann heißt das, dass wir in die lebendige Beziehung, in den liebenden Austausch von Vater und Sohn bereits jetzt hineingenommen sind. Wir sind in Gott geborgen, dem uns verständlicherweise nichts entreißen kann. Auch wenn es in unserem Leben stürmt und schwankt und alles zu zerbrechen scheint, so dürfen wir uns auf diese Worte des guten Hirten verlassen. Er hat uns das ewige Leben bereits gegeben, das uns niemand nehmen kann. Wir können nicht tiefer fallen als in seine Hand. Dort sind wir geborgen, was auch geschehen mag.

(radio vatikan – redaktion claudia kaminski)

 

Unser Sonntag: Im Mai mit Dr. Pia Sommer

Im Mai begeitet uns bei „Unser Sonntag“ Dr. Pia Sommer. Sie studierte Philosophie, Germanistik und Katholische Theologie. Nach einigen Jahren als Gymnasiallehrerin war sie als wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Dogmatik und Dogmengeschichte bzw. Spiritualität und Homiletik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt tätig.

Dort wurde sie mit einer Arbeit über den Heiligen Geist in der Heilsgeschichte zur Pneumatologie von Johannes von Ávila (†1569) im Fach Dogmatik und Dogmengeschichte promoviert.

Derzeit ist sie Leiterin der Hauptabteilung Jugend, Berufung, Evangelisierung des Bischöflichen Ordinariats Eichstätt. Pia Sommer ist Mitglied im Katholischen Säkularinstitut der Cruzadas de Santa Maria.

(radio vatikan – redaktion claudia kaminski)