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In seinem Kommentar zum Sonntags-Evangelium des ersten Advents erinnert uns Kardinal Gerhard Ludwig Müller daran, dass wir alle Geschöpfe, Kinder Gottes sind – und, dass das weit mehr bedeutet, als nur schöne Kindheitserinnerungen zu pflegen.

„Das Kirchenjahr beginnt mit der Feier des Advents: Vier Sonntage führen uns hin auf die Geburt Jesu, die wir an Weihnachten feiern, auf die Ankunft Gottes in dieser Welt.

 

Allerdings sprechen wir, genau genommen, von einer zweimaligen Ankunft Gottes in dieser Welt. Zum einen von der Ankunft Jesu in sein geschichtliches Dasein, von seinen 33 Erdenjahren in Palästina in der Zeit der Kaiser Augustus und Tiberius. Und wir sprechen zum anderen von der zweiten Ankunft Christi am Ende der Zeit bei seiner Wiederkunft, die wir ja in jeder Feier der heiligen Messe erwähnen: ‚Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen, wir bis du kommst in Herrlichkeit.‘

Die zwei Ankünfte Gottes

Diese beiden Ankünfte, diese beiden Heilsereignisse sind innerlich aufeinander bezogen, und sie bedingen einander. So lesen wir die Heilsgeschichte, die adventlich erwartungsvoll im Volk Israel auf den Messias hinführt, im Lichte der Botschaft, dass der Messias gekommen ist. Und dass wir gewiss sein können, dass bei allem, was geschieht (in der Welt, in der Geschichte, im Kosmos, in unserem persönlichen, familiären Leben) die Erlösung nahe ist. Und dass wir in Glaube, Hoffnung und Liebe durch alle Prüfungen hindurchgehen. Dass Christus bei uns einzieht, bei uns Wohnung nimmt.

‚Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.‘ (Joh 1, 14) Gott wohnt in uns, und wir wohnen in Gott. Ein wechselseitiges Ineinander-Sein: Wir sind schon durch die Taufe hineingenommen in das Leben des dreifaltigen Gottes. Durch die Taufe sind wir neue Geschöpfe geworden, sind wir Söhne und Töchter Gottes geworden. Ja, im Heiligen Geist sind wir in tiefer Freundschaft mit Gott verbunden. Gott ist nicht ein allmächtiger Herrscher über uns, ein Gesetzgeber, der mit Kontrolle und Sanktionen Seine Gesetze durchsetzt und sich Respekt verschafft, sondern Er ist der allmächtige Gott, der uns bei unserer Freiheit anspricht, der in die Intimität unseres Personseins eintritt und uns begegnen will, von Liebe zur Liebe.

Von Robotern und Menschen

Die Welt sieht in Vielem nicht gut aus, wenn wir in die großen politischen Zusammenhänge hineinschauen. Aber auch im Geistesleben, in der Kultur, ist vieles durcheinander. Die Frage ‚Was ist überhaupt der Mensch?‘ ist umstrittener als je zuvor. Seit dem 17. – 18. Jahrhundert wird der Mensch oft reduziert mit Aussagen wie diesen: Der Mensch ist nichts anderes als eine Maschine. Der Mensch ist eigentlich nichts anderes als ein höhergestelltes Tier, der Mensch ist nichts anderes als ein Computer. Der Mensch ist nichts anderes als die Vorform einer höheren Spezies, die dann am Ende mit vollautomatisierten Robotern auf uns zukommt und uns in der Evolution aber eine vorläufig-vorletzte Stufe zurückweist.

Nein – der Mensch ist Geschöpf Gottes! Er ist Kind Gottes, er ist Freund Gottes! Es ist wunderbar und herrlich, ein Mensch zu sein! ‚Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, du hast ihn gekrönt mit Pracht und Herrlichkeit.‘ (Ps 8, 5-6)

Das Schlaraffenland der Nihilisten

Dementsprechend sind wir Christen heute die Botschafterinnen und Botschafter der Würde des Menschen, seiner hohen Berufung zum ewigen Leben. Und deshalb wissen wir: Unsere Erlösung ist immer nahe – nicht nur zeitlich am Ende der Welt, sondern zeitlich jetzt in unserem Dasein, wo wir immer auf ein Ende zugehen, auf das Ende auch unseres persönlichen Lebens.

Das Leben des Menschen auf dieser Welt ist hoch bedeutungsvoll, aber zeitlich gesehen im Ganzen doch sehr kurz. ‚Die Zeit unseres Lebens währt siebzig Jahre, wenn es hochkommt, achtzig. Das Beste daran ist nur Mühsal und Verhängnis…‘ (Ps 90, 10). Vieles müssen wir aushalten und erdulden, bittere Kränkungen müssen wir erfahren. Viele Menschen stürzen sich deshalb in äußere Vergnügungen: Alkohol, Drogen. Oder sie erwarten sich alles vom Luxus und einem schönen Leben im äußeren Sinne, sie nehmen sich die Stars und Sternchen oder die Leute die superreich geworden sind, als ihre Vorbilder und träumen davon, dass sie einmal irgendwie von einem Prinzen geküsst werden und dann in einem Schlaraffenland aufwachen.

 

Das alles ist unrealistisch, und so kann man diesem nihilistischen Grundgefühl nicht entgehen, dass alles doch am Ende sinnlos wäre. Sondern nur indem wir unsere Häupter erheben und auf Christus schauen (vgl. Lk 21, 28), der von Gott herkommt und der unser Leben hell und reich macht, können wir wie die vielen Menschen im Alten Bund schon zugehen auf den Messias. Auf den von Gott verheißen Retter und Erlöser, in dem Gottes Heilswille, seine Heilsmacht gegenwärtig wird in dieser Welt.

Wir wollen unser eigenes Fiat sprechen

Denn Gott „will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen‘ (1 Tim 2, 4)…

Der Advent ist nicht die Zeit nur sentimentaler Rückerinnerung an unsere Kindheit oder der Erweckung von schönen, frommen, anheimelnden Gefühlen. Sondern Advent ist die Äußerung unserer festen und sicheren Hoffnung, dass es mit uns Menschen gutgeht: Denen, die Gott lieben, lässt Gott alles zum Besten gereichen. So wollen wir zu Beginn des Advent mit Maria sagen: ‚Siehe, ich bin Diener, Dienerin des Herrn: mir geschehe nach deinem Wort‘ (vgl. Lk 1, 38).“

(vatican news – redaktion claudia kaminski und stefan von kempis)

Im November begleitet uns bei „Unser Sonntag“ Kardinal Gerhard Ludwig Müller. Der Theologe war von 2002 bis 2012 Bischof von Regensburg und von 2012 bis 2017 Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre.
2014 wurde er von Papst Franziskus als ordentliches Mitglied in die Kongregation für die Orientalischen Kirchen berufen. Im Juni 2021 ernannte Papst Franziskus den 73-jährigen für eine fünfjährige Amtszeit zum Mitglied des „Supremo Tribunale“ der Apostolischen Signatur, also zum Richter am höchsten Kirchengericht.