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Pfarrer Paul Schuler stellt uns in dieser Betrachtung die drei Hauptpersonen aus dem Gleichnis vom verlorenen Sohn genauer vor. Grundsätzlich geht es darum zu erkennen, dass es nicht um Haben oder Nicht Haben geht, sondern darum, lebendig zu sein und nicht tot.

Pfarrer Paul Schuler, K-TV, katholisches Fernsehen

Lk 15,1-32 – Lesejahr  C

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn und vom barmherzigen Vater hat an und für sich drei Hauptpersonen: nämlich den Vater, den jüngeren und den älteren Sohn. Jeder dieser drei Personen gehört ein Teil der Geschichte.

Da ist der jüngere Sohn. Er will Freiheit und Unabhängigkeit. Er will sofort alles haben, was ihm zusteht, damit er machen kann, was ihm gefällt. So geht er weit weg von seinem Elternhaus; so weit wie möglich und verschleudert dort sein Vermögen in einem „heillosen“ oder nach andern Übersetzungen auch „zügellosen“ Leben. Seine Freiheit hat keinen Halt, keine Orientierung und kein Ziel.

Die Knechte des Vaters haben es besser…

Er weiß nicht, was er mit sich und seinem Leben anfangen soll. Was ihm als Orientierung dient ist die Frage, ob er viel besitzt oder ob er nichts hat. Das bleibt auch dann so, als er bereits im Elend ist. Er gilt etwas, so lange er viel hat und ist niemand, sobald er nichts mehr hat.
Wie er so dahockt, zwischen den Schweinen, von einem unerträglichen Hunger gequält, da kommt zunächst nicht die aufrichtige Reue, die wahrhaftige Verantwortlichkeit darüber, was er falsch gemacht hat. Der verlorene Sohn stellt einen Vergleich an: ich, der ich hier als Knecht gestrandet bin, habe Mangel an allem, mich quält ein unerträglicher Hunger. Ganz anders ist es mit den Knechten meines Vaters, die haben Brot in Hülle und Fülle. So will ich mich aufmachen und dorthin gehen, wo es mir gut geht. Dort will ich Knecht sein, wo ich menschenwürdig leben kann.

Reue des verlorenen Sohnes

Manche mögen nun einwenden: Der verlorene Sohn bereut doch, indem er sagt, dass er zu seinem Vater sagen wolle, er habe gegen ihn und gegen den Himmel gesündigt und er sei es nicht mehr wert, sein Sohn zu sein. Dieser Einwand mag zum Teil gelten: Aber hat sich der verlorene Sohn tatsächlich überlegt, was bedeuten würde, Sohn eines liebenden Vaters zu sein?
Bleibt der verlorene Sohn weiterhin in der falschen Meinung verhaftet: Sohn zu sein bedeutet
viel zu besitzen und selber über das Ausgeben bestimmen dürfen? Ich kann nicht erkennen, dass er in sich geht und sieht, was er an Chancen und Aufgaben in seinem Leben vergeudet hat.

„Er sieht Haben und nicht Haben, Mangel und Fülle. Und er sieht, dass einer, der ohne Habe zurückkommt, seine Stellung als Sohn verloren hat.“

Er sieht Haben und nicht Haben, Mangel und Fülle. Und er sieht, dass einer, der ohne Habe zurückkommt, seine Stellung als Sohn verloren hat. Er hat ein einfaches Muster, das lautet: Wer viel hat, der hat Anspruch auf Ehre und Ansehen, wer wenig oder nichts hat, der kann froh sein, wenn er als Knecht noch irgendwo Aufnahme findet. Der jüngere Sohn bleibt bis zu seiner Rückkehr sehr beschränkt. Er ist in die Welt hinausgegangen und diese Welt funktioniert so, nach dem beschränkten Prinzip von Haben oder Nichthaben.

Da kommt sein Sohn

Dieser jüngere Sohn ist ein Typ Mensch, Mann oder Frau, den wir kennen, der wir vielleicht selber sogar sind. Wenn wir meinen, unser Wert als Mensch hänge davon ab, wie erfolgreich jemand ist, wie viel jemand leisten kann. Dieser Mensch wären wir selber, wenn wir meinen, in der Not nur noch zweitklassig zu sein. Wobei es natürlich rundherum nicht an Leuten fehlt, die einem diese Zweitklassigkeit auch spüren lassen. Nun kommt also diese Elendsgestalt zu Hause an. Man sieht es ihm von weitem an, wie er sich sieht und fühlt: Als ein Nichts, ein Versager, einer, der darum bitten muss, Aufnahme und Brot zu finden. Dem Vater dreht es das Herz im Leibe um. So ist es doch nicht gemeint mit den Menschen, mit seinen Töchtern und seinen Söhnen. Die sollen doch nicht kriechen vor ihm. Da kommt sein Sohn. Er war sein Sohn und er bleibt sein Sohn. Er war weg und das hat weh getan; er ist wieder hier und das ist wunderbar.

„Der Vater ergreift die Chance, die Beschränktheit seines Sohnes aufzusprengen.“

Der Vater ergreift die Chance, die Beschränktheit seines Sohnes aufzusprengen. Es geht nicht um Haben oder Nicht Haben, es geht darum, lebendig zu sein oder tot zu sein.
Der Vater lässt seinen Sohn die vorbereitete Rede gar nicht zu Ende reden; und er fängt auch nicht an, ihm zu sagen, dass er sich selbst und sein Leben doch ganz anders sehen solle;
dass es doch gar nicht stimme, dass er zweitklassig geworden sei, dass er der Vater sich doch einfach freue darüber, dass er zurückgekommen sei und dass er ihn liebe als seinen Sohn. Das alles sagt der Vater nicht mit Worten, denn Worte wären vermutlich am Herzen des Sohnes, der sich innerlich abgeschrieben hat, abgeprallt. Nein, der Vater findet eine viel einfühlsamere Sprache: Er lässt den Zurückgekehrten an Leib und Seele fühlen, dass er unverändert Sohn ist, sein geliebter Sohn, dem ein Neuanfang möglich ist.

Er bleibt der geliebte Sohn

Er umarmt ihn, er küsst ihn. Der Vater lässt seinem Sohn ein neues Kleid und Schuhe bringen. Der Vater steckt seinem Sohn einen Ring an den Finger und lässt das Mastkalb schlachten. Der Vater ordnet an ein Fest zu feiern. Hier erwacht der jüngere Sohn aus seiner geistigen Beschränktheit auf. Er ist unabhängig von Haben oder Nichthaben, von äusserem Erfolg oder Misserfolg der geliebte Sohn seines Vaters.
Was bedeutet es, als Sohn dieses Vaters zu leben; was bedeutet es, Freiheit zu suchen und auszukosten? So, wie er es zuerst versucht hat, geht es nicht; aber wie denn? Diese Fragen können beim jüngeren Sohn, jetzt, nach diesem Empfang und dem Fest aufkommen. Die Herausforderung besteht nun darin, dass er diesen Fragen mit seinem Leben eine ehrliche und eigene Antwort zu geben, indem er sich auf ein Leben im Dienst für die ganze Familie einlässt.

Die Krise des älteren Sohnes

Und nun zur dritten Person, zum älteren Sohn. In ihm liegt die eigentliche Herausforderung der Geschichte, auch für uns.
Er gerät durch die Rückkehr des jüngeren Sohnes in eine grosse Krise. Er hat kein Verständnis für den Empfang, der dem Zurückgekehrten bereitet wird und er weigert sich sogar, zum Fest hineinzugehen. Da kommt sein Vater zu ihm hinaus. Vergleichbar wie er dem jüngeren Sohn entgegengegangen ist.
Mit dem älteren Sohn nun spricht der Vater. Er geht davon aus, dass der ältere Sohn die spürbaren Zeichen der Sohnschaft, den Ring am Finger, das Festkleid, den Kuss nicht nötig hat.

„Dieser da, dein Sohn, der deinen Besitz durchgebracht hat“

Aber da täuscht er sich sehr. Im Gespräch zwischen dem Vater und diesem älteren Sohn offenbaren sich Gräben im Verständnis von dem, wie sie ihr Verhältnis zueinander sehen. Hier können wir nachempfinden, dass es in diesem Gleichnis um das Verhältnis von uns Menschen zu Gott geht. Für den älteren Sohn bedeutet seine Gottesbeziehung: zu gehorchen, die Gebote zu beachten, ein guter Knecht zu sein.
Für ihn bedeutet sein ungebrochenes Dasein als Sohn des Vaters offensichtlich auch, urteilen und verurteilen zu können, die Menschen in solche einzuteilen, die es recht machen und solche, die es nicht recht machen. Das zeigt sich darin, wie er über seinen Bruder spricht: Dieser da, dein Sohn, der deinen Besitz mit den Huren durchgebracht hat. (Von den Huren war vorher gar nicht die Rede, diese sind nur in der Phantasie des älteren Sohnes vorhanden).
Dieser da, dein Sohn, sagt er und nicht: mein Bruder. In der Religion des älteren Sohnes geht es um das Rechthaben und um den Lohn bzw. die Strafe, die es geben soll.

Echte Freiheit und Teilhabe

Ganz anders aber sind die Worte des Vaters: „Kind, du bist immer bei mir und alles was mein ist, ist dein.“
Das ist echte Freiheit, das ist Teilhabe, Nähe, Sohnschaft, Dankbarkeit für das Geschenk des Lebens, Freude, Verantwortung tragen füreinander. Da geht es nicht darum, recht zu haben, sondern lebendig zu sein, fröhlich zu sein, traurig zu sein über den, der fehlt und sich zu freuen über den, der zurückgekehrt ist.
Der, der da zurückgekehrt ist, ist nicht „dieser da“, der alles falsch gemacht hat, sondern es ist „mein Bruder“, der auch mir gefehlt hat, dessen Freiheitsdrang mir gut tun würde, mit dem ich gemeinsam fragen möchte, wie denn Freiheit bei und mit diesem gütigen Vater in meinem Leben Gestalt finden darf.
Das Gespräch zwischen dem Vater und dem älteren Sohn offenbart, dass dieser Vater an und für sich zwei verlorene Söhne hatte.
Der eine verlor sich in einer scheinbaren Freiheit, die sich dem Haben oder Nichthaben ergibt, der andere zog sich in eine enge Welt des Rechttuns und des Rechthabens zurück.

Gottes Einladung an uns

Beide verloren aus den Augen und aus dem Herzen, was dieser Vater für sie beide will: Lebendig sein als freie Tochter, als freier Sohn. Wegkommen vom „dieser da“ hin zu „mein Bruder, meine Schwester“.
Zum Fest sind beide eingeladen. So sind auch wir diesen Sonntag eingeladen, um zu danken für das Geschenk des Lebens, zur Freude über alles, was in ihnen und zwischen ihnen lebendig und echt ist. Zu einem Leben, das nach Erfüllung und Vollendung aller fragt, die sich in der Gegenwart des dreifaltigen Gottes auch uns schenken will.

(radio vatikan – redaktion claudia kaminski)

Unser Sonntag im September: Pfarrer Paul Schuler

Im September begleitet uns bei „Unser Sonntag“ der in der Schweiz inkardinierte Priester Paul Schuler. Nach dem Studium der Theologie in Freiburg (CH) wurde er in der Kathedrale von Cusco, Peru, zum Priester geweiht.

Insgesamt wirkte er fünf Jahre in dem südamerikanischen Land. Nach der Rückkehr in die Schweiz hat er Pfarrstellen in der Schweiz betreut. Seit dem Tod von Pfarrer Hans Buschor, dem Gründer des katholischen Fernsehsenders, ist Pfarrer Schuler einer der drei geistlichen Leiter von K-TV, katholisches Fernsehen.

(radio vatikan – redaktion claudia kaminski)