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Prof. Schwienhorst-Schönberger verdeutlicht, dass dieses Evangelium uns auf den Unterschied zwischen Heilung und Heil, zwischen Wunderglauben und Heilsglauben aufmerksam macht.

Prof. Ludger Schwienhorst-Schönberger

Lk 17,11-19 Lesejahr C 

Not lehrt beten, so lautet ein geflügeltes Wort. Doch Not begründet noch keinen Glauben, der bleibt und trägt. Zu Beginn der dritten und letzten Etappe auf dem Weg Jesu nach Jerusalem macht uns der Evangelist Lukas mit einer wichtigen Unterscheidung vertraut: Jesus hat viele geheilt, doch nur wenige fanden zum Glauben an ihn. Heilung und Heil hängen zwar miteinander zusammen, sind aber doch deutlich zu unterscheiden.

Als Jesus auf seinem Weg nach Jerusalem durch das Grenzgebiet von Samarien kommt und in ein Dorf hineingehen will, kommen ihm zehn Aussätzige entgegen. Sie bleiben von Ferne stehen. Aussätzige mussten zu den Gesunden auf Abstand bleiben, um diese nicht zu verunreinigen; heute würden wir sagen: um sie mit ihrem Aussatz nicht anzustecken.

Abstandsregeln wie bei Corona

Während der Corona-Pandemie mussten wir uns an die Abstandsregeln halten, um andere Personen nicht anzustecken und die Ausbreitung der Krankheit einzuschränken. Das alttestamentliche Gesetz sieht vor, dass sich Aussätzige außerhalb des Lagers aufhalten mussten. Ihnen galt die Vorschrift, besondere Kleidung zu tragen, sich den Bart zu verhüllen und ausrufen: Unrein! Unrein! (Lev 13,45f). Aussätzige lebten – wie die Etymologie des deutschen Wortes sagt – außerhalb der menschlichen Gemeinschaft; sie waren aus-gesetzt – lebten abgesondert von den Gesunden.

[ Aussatz war eine schwere soziale Beeinträchtigung ]

Aussatz war somit nicht nur eine körperliche, sondern auch eine schwere soziale Beeinträchtigung. Die Aussätzigen, die Jesus entgegenkommen, halten die Abstandsregeln ein; „sie blieben in der Ferne stehen“, heißt es im Evangelium. Und zugleich verhalten sie sich wie die Beter der Psalmen, die in der Not Gott um Hilfe anrufen. Sie setzen ihre Hoffnung auf Jesus und rufen, wie auch wir es zu Beginn eines jeden Gottesdienstes tun: „Jesus, Meister, erbarme dich unser!“ – ἐλέησον ἡμᾶς. Ihr Vertrauen in Jesus wird nicht enttäuscht. Er schickt sie, wie das Gesetz es vorschreibt, zu den Priestern, um sich das Verschwinden des Aussatzes amtlich bestätigen zu lassen. Auf ihrem Weg zu den Priestern ereignet sich die Heilung: „Und es geschah, während sie hingingen, wurden sie rein.“

Einer der Geheilten steigt aus der Gruppe aus

Jetzt findet eine für den weiteren Verlauf der Erzählung wichtige Unterscheidung statt. Einer der vom Aussatz Geheilten steigt aus der Gruppe aus. „Er kehrte um, als er sah, dass er geheilt war.“ Wie die Beter der Psalmen lobt er zunächst Gott mit lauter Stimme. Gott loben und danken, das tun die Beter der Psalmen, wenn sie aus Krankheit und schwerer Not gerettet werden. Doch der Geheilte weiß auch, dass ihm die Hilfe Gottes durch Jesus zuteil wurde. Und so wendet er sich, nachdem er Gott mit lauter Stimme gelobt hat, Jesus zu, wirft sich ihm zu Füßen und dankt ihm. „Sich Jesus zu Füßen werfen und ihm danken“ bringt eine Haltung zum Ausdruck, die in der Bibel gewöhnlich Gott entgegengebracht wird.

„Im Verhalten des Geheilten rücken der Lobpreis Gottes und der an Jesus gerichtete Dank sehr eng zusammen.“

Das Verbum danken, im Griechischen εὐχαριστέω – davon stammt Eucharistie, Danksagung ab – dieses Verbum kommt im Neuen Testament mit einer Ausnahme (Röm 16,4) sonst nur mit Gott als Objekt vor (insgesamt 38-mal). Im Verhalten des Geheilten rücken der Lobpreis Gottes und der an Jesus gerichtete Dank sehr eng zusammen. Von einer Anbetung Jesu kann hier allerdings noch keine Rede sein. Das anbetende Niederfallen, die Proskynese, behält der Evangelist Lukas allein Gott (Lk 4,7f) und dem Auferstandenen bei der Himmelfahrt vor (Lk 24,52). Und doch deutet das Niederfallen des Geheilten darauf hin, dass er einen Weg betritt, der zum Glauben an Jesus führt.

„Die Resonanz, die Jesu Verkündigung in seinem eigenen Volk fand, hielt sich in Grenzen“

„Dieser Mann“, so heißt es weiter, „war ein Samariter“. Damit macht uns Lukas auf ein Thema aufmerksam, das ihm ein besonderes Anliegen ist. Zwar wusste sich Jesus zunächst gesandt zu den „verlorenen Schafen des Hauses Israel“ (Mt 10,6; vgl. Lk 13,34). Doch die Resonanz, die seine Verkündigung in seinem eigenen Volk fand, hielt sich in Grenzen, insbesondere unter den Schriftgelehrten und den führenden Repräsentanten des Volkes. Bereits das Markusevangelium erzählt, wie Jesus vereinzelt mit Nicht-Juden in Kontakt kommt. Lukas verstärkt diese Linie und stellt uns weitere Szenen vor Augen, die in die Richtung der späteren Heidenmission weisen, wie sie vor allem Paulus programmatisch begründet und praktiziert hat.

Nur der Fremde, der Samariter kehrt um…

Über den römischen Hauptmann von Kafarnaum sagt Jesus im Lukasevangelium: „Einen solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden“ (Lk 7,9). Dass der eine von zehn Geheilten, der zu Jesus umkehrt, ein Samariter und das heißt ein Fremder ist, fügt sich in die theologische Linie des Lukasevangeliums ein, der in der Apostelgeschichte erzählt, wie das Heil zu den Völkern kommt.
Das heutige Evangelium macht uns auf den Unterschied zwischen Heilung und Heil, zwischen Wunderglauben und Heilsglauben aufmerksam. Jesus, so erzählen uns die Evangelien, hat viele Menschen geheilt. Doch die meisten von ihnen haben nicht erkannt, wer dieser Jesus in Wahrheit ist. Legt man die Zahlenverhältnisse unseres heutigen Evangeliums zugrunde, dann ist es nur einer von zehn, bei dem der Erstkontakt mit Jesus nicht der letzte war.

„Eines der auffallendsten Merkmale im öffentlichen Wirken Jesu waren seine Heilungen.“

Meiner Erfahrung nach scheint das eine sehr realistische Sicht auf den Glauben zu sein. Auch in unserer Zeit suchen viele Menschen nach Heilung. Dabei werden auch die Angebote der Religionen dankbar in Anspruch genommen. Auch der christliche Glaube wurde und wird von einflussreichen Theologen als ein therapeutischer Glaube verstanden, als ein Glaube, der Menschen heilt. Das ist nicht falsch. Eines der auffallendsten Merkmale im öffentlichen Wirken Jesu waren seine Heilungen. Mit Krankenheilungen und Dämonenaustreibungen hat Jesus viele Menschen erreicht. Nach der Heilung eines Aussätzigen, von der das Lukasevangelium bereits im 5. Kapitel erzählt, heißt es: „Sein Ruf aber verbreitete sich immer mehr und große Volksmengen kamen zusammen, um zu hören und von ihren Krankheiten geheilt zu werden“ (Lk 5,15). Man kann sich gut vorstellen, dass auch die zehn Aussätzigen von Jesus, dem Wunderheiler, gehört hatten. Und tatsächlich wird das Vertrauen, das sie in ihn gesetzt haben, nicht enttäuscht. Jesus hat Erbarmen mit ihnen und heilt sie.

Jesus ist mehr als ein Wunderheiler

Wunderheiler gab es damals und gibt es heute. Doch in der Rolle eines Wunderheilers geht Jesus nicht auf; er ist mehr. Auch heute erleben Menschen immer wieder wunderbare Heilungen, in vielen Fällen dank einer beeindruckenden medizinischen Kunst. Dass Menschen, die von einer schweren Krankheit geheilt wurden, umkehren, ihr Leben neu ausrichten und zum Glauben an Gott finden, können wir auch in unserer Zeit beobachten. Doch es sind nicht viele. Die neun vom Aussatz Geheilten, so ist zu vermuten, kehren nach ihrer wunderbaren Heilung in ihr altes Leben zurück. Sie stellen keine weiteren Fragen und machen so weiter wie bisher. Anders bei dem einen, dem Samariter, der genauer hinsieht, der in sich kehrt und zu dem zurückkehrt, dem er seine Heilung verdankt: „Einer aber von ihnen, sehend, dass er geheilt worden war, kehrte, Gott mit lauter Stimme lobend, um und fiel auf sein Angesicht vor seinen Füßen und dankte ihm“ (Lk 17,16), so die wörtliche Übersetzung des Verses. Dieser eine ist nicht nur von seinem Aussatz geheilt, sondern er ist auch ein Sehender geworden.

„Erst ein solcher Glaube, der das, was geschehen ist, sieht und erkennt und ihm auf den Grund geht, ist ein Glaube, der nicht nur heilt, sondern rettet.“

Sein Glaube ist nicht bei einem Glauben an den Wunderheiler stehengeblieben, sondern er ist seiner Heilung noch einmal nach-gegangen und zu dem zurückgekehrt, dem er seine Heilung verdankt. Und diesen Dank bringt er mit einer beeindruckenden Geste zum Ausdruck. Erst ein solcher Glaube, der das, was geschehen ist, sieht und erkennt und ihm auf den Grund geht, ist ein Glaube, der nicht nur heilt, sondern rettet. Die zehn Aussätzigen bleiben auf Abstand zu Jesus, wie das Gesetz es befiehlt: „Sie blieben in der Ferne stehen und riefen: Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns!“ Jetzt, da sie geheilt sind, könnten sie dem Meister nahekommen. Doch sie tun es nicht, sie gehen ihres Weges und ihre Begegnung mit Jesus gehört der Vergangenheit an. Anders bei dem einen, dem Samariter: Er kehrt um und kommt Jesus ganz nahe. Ihm bescheinigt der Herr: „Steh auf und geh! Dein Glaube hat dich gerettet.“

(radio vatikan – redaktion claudia kaminski)