Das ist so gewesen und ist teilweise heute noch so in Irland, in Polen, in Italien, in Österreich. In Deutschland, mit den zwei großen Konfessionen mit ähnlichem Bevölkerungsanteil war es schon etwas anders, aber immerhin, früher war das Volk auch dort im großen und ganzen christlich. Inzwischen jedoch schreitet die Säkularisation in allen europäischen Ländern fort, das bedeutet, dass mehr und mehr Menschen nicht mehr an Christus glauben, ihm nicht mehr folgen, ihn gar nicht mehr kennen. Gott spielt in ihrem Leben keine Rolle mehr, es scheint, dass sie ihn auch nicht mehr brauchen.
Als Priester macht mich das traurig. Ich frage mich natürlich, was habe ich, was haben wir falsch gemacht, dass es so weit kam? Hier könnte man sicher eine Menge aufzählen. Aber vielleicht ist es nicht nur die „Schuld“ der Kirche. In Beziehungsfragen ist es ja immer so, dass beide Seiten einen Anteil an dem Problem haben; so ist es vielleicht auch hier bei Kirche und Welt.
Die Situation kann einen nicht nur traurig machen, sondern auch wütend. Man kann wütend werden auf die Kirche, oder man kann wütend werden auf die Gesellschaft. Beides ist verständlich. Wenn man da Dinge sieht, die sich nicht positiv entwickeln.
Würden die Menschen nur dem Evangelium folgen!
Man denkt, würden die Menschen nur dem Evangelium folgen! Und man ist in der Versuchung, das, was man in der Welt, in der Gesellschaft oder in der Kirche sieht, zu verurteilen, negativ zu sehen. Nach dem Motto: alles wird schlechter.
Nun sind Traurigkeit und Wut keine guten Berater. Die alte Mönchstradition sagt sogar: Traurigkeit und Wut sind Dämonen. Wir sollten uns nicht von ihnen übermannen, schon gar nicht von ihnen in unseren Gedanken und Werken leiten lassen. Abgesehen davon, dass sie auch unseren Wunsch, nämlich dass Menschen wieder zu Christus kommen, total behindern: denn wenn wir die Menschen mit Wut oder Verachtung anschaen, werden sie sich schon gar nicht für den interessieren, der uns einlädt, ihm zu folgen.
Umgang miteinander
Lassen wir hier für einen Moment einmal die kritischen Anfragen an die Kirche selbst beiseite, das wäre ein eigenes Thema – es wäre wichtig, im Sinn der correctio fraterna, der geschwisterlichen Zurechtweisung, dass wir intern offener und klarer reden und nicht um einander herumschleichen oder heucheln, sondern ehrlich sind, damit sich die Kirche gut weiter entwickeln kann. Schauen wir für diesen Moment einmal auf die Welt, auf die Gesellschaft (deren Teil wir ja auch sind). Denn auch in der 1. Lesung und im Evangelium geht es ja darum, wie man umgehen sollen mit denen, die nicht zu einem gehören.
Gelebte Nächstenliebe
Jesus weist uns den Weg aus dem Dilemma. „Wer nicht gegen mich ist, ist für mich.“ Es ist offensichtlich, dass viele Bewegungen in Politik und Gesellschaft noch vom christlichen Geist her geprägt sind. Auch wenn man sich ausdrücklich vom Christentum abwendet, lassen sich viele doch von Werten leiten, die über Jahrhunderte vom Christentum tief eingepflanzt wurden. Denken wir z. B. an die Solidarität unter den Menschen, die wir gerade in Zeiten von Unglücken und Unwettern erleben, das ist gelebte Nächstenliebe. Denken wir an die Aufmerksamkeit für Minderheiten, marginalisierte Gruppen in unserer Gesellschaft, das ist ganz im Sinne Jesu, der sich gerade den an den Rand Gedrängten zugewandt hat. Auch die ökologische Bewegung, sie will doch nichts anderes als die Bewahrung der Schöpfung, die auch eine zentrale Verantwortung aus dem christlichen Geist ist.
Wie man all diese Dinge im Einzelnen ausgestaltet, auch unter politischem Aspekt, kann dann natürlich sehr kontrovers sein. Wie die Minderheiten schützen, wie die Natur bewahren? Wichtig ist aber, dass wir den Ansatz sehen, die gute Absicht. „Wer nicht gegen mich ist, ist für mich“. Die Intention ist gut. Da ist eine gemeinsame Basis. Wir sollten uns als Christen da einbringen, uns zusammenschließen, keine Berührungsängste haben und den guten Ansatz unterstützen. Es ist verständlich, dass wir in der Kirche einen gewissen Verteidigungsreflex haben, wenn sich unsere Reihen lichten. Man will zusammenhalten, die Reihen eng schließen. Im Evangelium war die Situation nicht viel anders: „Meister, wir haben gesehen, wie jemand in deinem Namen Dämonen austrieb; und wir versuchten, ihn daran zu hindern, weil er uns nicht nachfolgt.“ Wie aber reagiert Jesus? „Hindert ihn nicht! Keiner, der in meinem Namen eine Machttat vollbringt, kann so leicht schlecht von mir reden. Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.“
Mit allen, die Gutes tun, zusammenarbeiten
Wir sollten also mit all denen, die da das Gute tun oder das Gute versuchen, zusammenarbeiten. Warum? Weil auch in ihnen der Geist wirken kann. So wie es bei Eldad und Medad im Buch Numeri geschehen ist: Obwohl sie im Lager geblieben und nicht in das Offenbarungszelt gegangen waren, kam der Geist doch auch über sie. Joshua, der von Jugend an ein treuer Diener des Mose gewesen war, will sie daran hindern. Mose aber tadelt den Übereifer seines Freundes und sagt: „Willst du dich für mich ereifern? Wenn nur das ganze Volk des HERRN zu Propheten würde, wenn nur der HERR seinen Geist auf sie alle legte!“ Ähnliches sehen wir es bei Jesus. Auch wenn Menschen nicht ausdrücklich zu ihm gehören, wissen wir doch nicht, ob sie nicht das Gute vielleicht im Namen Jesu vollbringen. Es könnte sein, dass er selbst es ist, sein Geist, der in ihnen wirkt.
Die Extreme der Gesellschaft
Wir finden zwei Extreme vor in unserer Gesellschaft. Die einen sagen: Es braucht die Kirche nicht mehr. Die Gesellschaft ist sogar besser ohne sie. Sie hat schon genug Unheil angerichtet und ihre Zeit ist vorüber. Die anderen sagen: die Gesellschaft ist schlecht, die Gesellschaft verfällt und ist böse. Jesus hätte wohl Verständnis für beide Seiten: wie oft kritisiert er die institutionalisierte Religion, die Pharisäer. Er nimmt kein Blatt vor den Mund. Aber: wie sehr stöhnt er auch über diese Welt, als er z. B. sagt: „O du ungläubige und verkehrte Generation! Wie lange muss ich noch bei euch sein? Wie lange muss ich euch noch ertragen?“ (Matthäus 17,17).
Auch Jesus stöhnt über die Welt
Es handelt sich um menschliche und verständliche Reaktionen auf das, was wir wahrnehmen. Für uns Christen ist das alles aber nicht entscheidend: Jesus lehrt uns im heutigen Evangelium, das das Kleinste und der Kleinste, der für das Reich Gott ist, zählt: ein kleiner Becher Wasser – wir sollten ihn nicht verachten. Und alles, was uns am Reich Gottes hindert, sollen wir abschneiden. Jesus spricht aber nicht von der Hand der anderen, die wir abhacken sollen, sondern unserer eigenen. Wir wissen, dass das nicht körperlich wörtlich gemeint sein kann, wenn man daran denkt, wie sehr Gott und Jesus uns lieben, unsere Integrität, unser Heil. Die Aufforderung, uns von Hand oder Fuß oder Auge zu trennen meint allerdings, dass es ok ist, „verstümmelt“ ins Reich Gottes zu kommen, das heißt, es muss nicht vollständig sein, was da geschieht, nicht perfekt.
Die „verstümmelte Kirche“
Auch Jesus begegnet hier einer Art von Übereifer unter seinen Jüngern. Es muss nicht perfekt sein. Das Kleinste, was uns zu Christus führt, sollen wir schätzen und fördern. Und was uns an ihm hindert, bei uns selbst, das sollen wir abtun. Das eine vom anderen zu unterscheiden, lehrt uns der Geist.
Wir werden eine Menge lassen müssen in der Kirche in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. „Verstümmelt“ werden wir herauskommen aus der Krise. Es wird viel Geduld brauchen. Wir könnten das 5. Kapitel des Jakobusbriefes auf uns beziehen und sagen: Reich sind wir gewesen. Ja, aber wenn es ein Reichtum war, den Motten zerfressen können, und der wie Silber verrostet, dann können wir ihn fahren lassen. Wir können getrost nach vorne schauen und dort, wo Kleines in die richtige Richtung weist, dabei sein. Wir werden nicht um unseren Lohn kommen, das hat der Herr uns versprochen.
(radio vatikan – redaktion claudia kaminski)