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In dieser Betrachtung zum Sonntagsevangelium ruft uns Bischof Hermann Glettler dazu auf, die Herzen der Menschen erneut zu berühren und dabei ganz besonders auf Gott zu vertrauen.

Es ist eine fast kindliche Erkenntnis, dass sich das Wesentliche nicht machen lässt: die Freude am Leben, das Vertrauen, die Achtsamkeit des Herzens. Das Leben ist und bleibt ein Wunder – es leuchtet auf und fasziniert, ist aber ebenso schnell zerstört – und vor allem von uns Menschen technisch „nicht herstellbar“.

Der blühende Mandelbaum, wie wir ihn auf einem Gemälde von Guillaume Bruère sehen, ist ein Bild für das überraschend Neue des Lebens, wie es im Frühjahr hervorbricht. Das Gemälde des französischen Künstlers befindet sich im Bischofshaus in Innsbruck, aktuell in einer Ausstellung zum 500. Geburtstag des Hl. Petrus Canisius. Zurück zur Frage: Wächst das Reich Gottes tatsächlich automatisch? Freiheit, Gerechtigkeit, Friede, … ohne unser Zutun? Die Gleichnisse von der Saat im Evangelium sind jedenfalls eine klare Ansage zum Vertrauen: Unabhängig von unserer Geschäftigkeit gibt es eine positive Lebens-Dynamik – in der Stille, oftmals unbemerkt.

Das Wesentliche wächst organisch

Diese Grundüberzeugung leitet mich oft, wenn sich Termine knapp ausgehen und so manches Projekt einen überraschenden anderen Verlauf nimmt – scheinbar „out of control“. Jesus verkündet das geheimnisvolle Wachsen der neuen Wirklichkeit, die durch ihn inmitten einer beschädigten und verwundeten Welt jetzt schon präsent ist, mit Bildern der Aussaat. Das Reich Gottes wird wie ein Same aufs Feld geworfen. Dass der Same ins Erdreich eindringt und bei geeigneten Bodenverhältnissen und klimatischen Vorgaben ein Keimprozess beginnt, ist ein ganz „natürliches Wunder“. Ja, so handelt Gott – spektakulär einfach, alltäglich wunderbar. Mit dem Samen seines Wortes ist die gesamte Palette von der realen Zuwendung Gottes benannt, die wir auch an unserem eigenen Werden nachvollziehen können: Gezeugt und empfangen, durch Eltern und andere Bezugs- und Lehrpersonen umsorgt und zu unserem persönlichen Leben ermutigt.

„Ganz klar: Am Anfang steht nicht unser Tun, unsere Leistung, unsere Fähigkeit“

Ganz klar: Am Anfang steht nicht unser Tun, unsere Leistung, unsere Fähigkeit. Das gilt auch für das Reich Gottes.
Jesus verkündet das Wachstumsprinzip vom Reich Gottes im politisch höchst aufgeladenen Galiläa. Niedriger Bildungsstand, hohe Steuerlasten und eine dadurch bedingte Armut förderten eine gefährliche Bereitschaft für politischen Extremismus: Die Zeloten und Eiferer waren in seinem Umfeld zu Hause. Sie wollten das Reich Gottes mit Gewalt herstellen.

Spannkraft des Herzens

Diese Versuchung, mit Aggression das Gute erzwingen zu wollen, widerspricht den Wachstums-Gleichnissen. Aber was tun, wenn die Ungerechtigkeit zum Himmel schreit? Die aktuellen Ereignisse im Nahen Osten sind ein erschütterndes Schauspiel. Ist tatsächlich auf den Heiligen Geist Verlass, auf diese Keim- und Blühkraft für das Reich Gottes? Vermittelt er die nötige Unruhe und Ruhe zugleich, um das Wesentliche reifen zu lassen? Vermittelt er die Spannkraft des Herzens, um zu sehen, was Gott auf den vielen Lebens-Feldern einer heutigen, vielfach säkularen Gesellschaft trotz allem wachsen lässt?

Das Reich Gottes macht viel Arbeit

Das Faktum, dass nicht wir „die Macher von Gottes Sache“ sind, ist 100% richtig, darf aber nicht zur Bequemlichkeit und Lauheit verleiten, weil ja nichts von uns abhängen würde. Ein falsches Laissez-faire kann ein natürliches Wachstum verhindern. Wer eine Landwirtschaft, Viehzucht, Obstbau oder auch Weingärten betreibt, weiß um die Sorge und immense Arbeit, die im Einklang mit der Natur notwendig ist. Auch für die Kunst hat es Karl Valentin einmal treffend formuliert: „Kunst ist schön, mache aber viel Arbeit.“ Das gilt auch für das Reich Gottes. Zeit, Energie und Herzblut sind notwendig, um Bedingungen zu schaffen, die ein Wachstum ermöglichen.

„Ohne Herzblut kommt nichts zum Blühen“

Im Grunde reicht es aus, alles wegzuräumen, was dem Wirken des Heiligen Geistes widerspricht und damit ein „natürliches“ Wachstum verhindert. Wir müssen nur die nötigen Freiräume schaffen – in der oftmals gehetzten Atmosphäre unserer alltäglichen Betriebsamkeit. Aber auch das ist Arbeit. Guillaume Bruère hat im Blick auf seinen Mandelbaum mit französischem Akzent von einer „blütenden Schönheit“ gesprochen. Blühen und Bluten gehören zusammen. Ohne Herzblut kommt nichts zum Blühen.

Petrus Canisius: Herz-Schrittmacher einer neuen Verkündigung

Mitarbeit und Zuarbeit zum Reich Gottes beginnen immer mit einer Entscheidung des Herzens, nicht nur für das eigene Glück sorgen zu wollen. Alles andere ergibt sich dann tatsächlich „organisch“. Es wächst die Bereitschaft zu einem Leben in der konkreten Sorge für Menschen. Das jesuitische Motto dafür lautet „iuvare animas“, den Menschen, den Seelen helfen. Der erste deutschsprachige Jesuit in der „Gesellschaft Jesu“ hat dies total verinnerlicht. Petrus Canisius, am 8. Mai 1521 in Nimwegen geboren, ist zum Herz-Schrittmacher einer neuen Verkündigung des Evangeliums geworden. Leider war er nicht frei von gegenreformatorischer Polemik und anderen Grobheiten seiner Zeit. Aber es war sein Anliegen, den Schatz des eigenen Glaubens aufleuchten zu lassen und nicht gegen Andersgläubige zu kämpfen. Er hat seine Lebenszeit in einem durch Religionskriege und andere Katastrophen verwundete Jahrhundert als eine „Zeit zur Aussaat“ verstanden.

Zeit zur Aussaat

Im Jahr 2000 hat die Deutsche Bischofskonferenz ein Schreiben publiziert, um zu einem missionarischen Kirche-Sein zu ermutigen. Der programmatische Titel „Zeit zur Aussaat“ hat nichts an Aktualität eingebüßt – gerade jetzt, wenn strukturelle Fragen der Kirchen-Organisation und viele interne Problemstellungen sehr viel an Energie und Zeit beanspruchen. Wir müssen von neuem die Herzen der Menschen berühren, zumindest mit der Aussaat wieder beginnen. Dazu gibt es unendlich viele Möglichkeiten, wenn wir sie wahrnehmen wollen. Ein Hirtenbrief von Bischof Joachim Wanke wurde dem bereits erwähnten Dokument angehängt, weil es für die gesamte deutschsprachige Kirche Gültigkeit hat – bis heute. Er sagt, dass wir nicht zuerst an einem Mangel an Berufungen und Ehrenamtlichen leiden, schon gar nicht an Geld oder Immobilien.

„Die Kirche leide jedoch an einem Mangel an Vertrauen, dass sie neue Mitglieder gewinnen könne“

Die Kirche leide jedoch an einem Mangel an Vertrauen, dass sie neue Mitglieder gewinnen könne. Es fehlt das Vertrauen, dass der kirchliche verkündete und gelebte Glaube an Christus Menschen von heute zu einer persönlichen Entscheidung bewegen könnte. Ernsthaft: Glauben wir an die Lebensrelevanz vom Reich Gottes?
Voraussetzung ist, dass wir wahrnehmen, was mitten in der Welt an Gutem im Wachsen ist, dass wir uns mitfreuen und es fördern. Jede Fixierung auf Defizite, auf das Versagen und Unvollkommene hindert das „natürliche Wachstum“ des Reiches Gottes. Lange Listen ließen sich über den erbärmlichen Zustand der Gesellschaft und der Welt erstellen.

„Petrus Canisius: Mit dem Zustand der Kirche steht es viel schlimmer als man in Rom denkt“

Auch über die Kirche und uns selbst. „Mit dem Zustand der Kirche steht es viel schlimmer als man in Rom denkt“ schrieb Petrus Canisius an seinen General – und dennoch hat er sich zur Aussaat des Evangeliums entschieden, zur Predigt und Seelsorge, zur systematischen Darlegung des katholischen Glaubens. Er hätte weit mehr Gründe als wir gehabt, aufzugeben, sich resigniert und enttäuscht zurück zu ziehen. Trotz seiner „beschädigten Biographie“ ist uns „der zweite Apostel Deutschlands“ ein Vorbild, ein Impulsgeber für eine heutige, volksnahe und nachhaltige Verkündigung.

Sich persönlich in die Waagschale werfen

So wie Canisius braucht es viele Menschen, die sich persönlich in die Waagschale werfen, um durch alle Schwierigkeiten und Enttäuschungen hindurch, ihren Beitrag zum Wachsen von Gottes Reich geben.
Abschluss: Das entlastende und zugleich herausfordernde Gleichnis von der notwendigen Aussaat hilft uns, noch bewusster auf die verborgene Wirkkraft des göttlichen Geistes zu vertrauen. Das hebräische Wort für Wachsamkeit und Mandelbaum klingt ähnlich. So heißt es bei Jeremia mit dem Hinweis auf den blühenden Zweig des Mandelbaumes: „Du hast recht gesehen, denn ich wach über mein Wort, dass ich es halte.“ (Jer 1,11f.) Der Hl. Geist wirkt still, diskret, unaufdringlich. Mit allen kleinen, oft nur Senfkorn-kleinen Zusagen unserer Bereitschaft kann er etwas Großes beginnen.

(radio vatikan – claudia kaminski)

Die verrückte Familie

Nicht nur der Familienclan tat sich mit Jesus schwer. Der Vorwurf der Gesetzeslehrer war noch massiver. Von Jerusalem, der religiösen Hochburg kommend, stellen sie die gefährlichste aller theologischen Diagnosen: Jesus arbeitet mit dem Teufel, dem hässlichen „Herrn der Fliegen“ zusammen. Jesus versucht eine mühsame Entgegnung, aber vermutlich erfolglos. Durch die Bildung der neuen Gemeinschaft kommt es zu Verwerfungen. Jesus stellt sich dieser Tatsache, hält es aus, dass einige weggehen, appelliert an die Freiheit des einzelnen, aber nimmt nichts von der Radikalität seiner Botschaft zurück – und zugleich vertritt er eine radikale Offenheit für alle, die mit ihrer Lebenslast, ihrem Versagen und Unvermögen zu ihm kommen. Drinnen und draußen, innerer und äußerer Kreis. Wer gehört denn wirklich dazu? Sollten wir als Kirche in der Schule Jesu nicht in erster Linie heilsame Zugehörigkeit ermöglichen – und jedes kleinkarierte Ausgrenzen vermeiden? Kirche ist doch kein Verein unter Vereinen, keine exklusive Clique. Leider machen viele Menschen auch gegenteilige Erfahrungen. Es wird ihnen signalisiert, dass sie nicht mehr dazugehören. Sollten wir nicht in „verrückter“ Leidenschaft für die Menschen von heute die Türen ganz weit aufmachen?

 

Ecce Homo! So ergeht es unzähligen Menschen, die sich und anderen fremd geworden sind, an einer Beeinträchtigung leiden oder sich schuldig gemacht haben.

 

„Mädel, wenn Du uns das antust, dann fliegst Du raus!“ Eine junge Drogensüchtige kommt am Heiligen Abend in unser Caritashaus und lässt ihrer Anspannung freien Lauf: „Ich halte den Stress zu Hause nicht mehr aus.“ Ihre Not hat mich getroffen. Ich dachte zuerst an den Stress ihrer Familie, die vermutlich mit dem verstörenden Verhalten der suchtkranken Tochter nicht zurechtkam. Dann habe ich versucht, hinein-zu-fühlen, wie oft sie wohl erleben musste, nicht mehr dazuzugehören, heimatlos zu sein. „Ecce Homo!“ So ergeht es unzähligen Menschen, die sich und anderen fremd geworden sind, an einer Beeinträchtigung leiden oder sich schuldig gemacht haben. Auch ganz „normale Familien“ sind extrem gefordert – wer wünscht sich denn nicht gelingende Beziehungen und gleichzeitig tun wir uns so schwer mit Kränkungen und uralten Verletzungen. Es ist nicht leicht, neu miteinander zu beginnen – obwohl wir wissen, dass wir alle nicht perfekt sind. Bräuchten wir nicht öfter etwas mehr geistvolle Verrücktheit, damit der Geist Gottes Neues ermöglichen kann?

Der verrückte Glaube

Wenn ich über die weltweite Mission unserer Kirche, im besten Sinn „verrückte“ Familie Jesu nachdenke, fällt mir die Anekdote eines befreundeten Diakons ein. Bei einer Tauffeier hat er nach den Fürbitten, die von der Familie vorbereitet wurden und vor allem das Wohlergehen und Allerbeste für das Taufkind beschworen haben, angefügt, dass er auch für unsere Verwandten auf den Philippinen beten möchte. Verwunderung in der Gemeinschaft. Beim Taufessen wurde er nach dem Hintergrund dieser Bitte gefragt. Der Diakon erklärte daraufhin der Taufgesellschaft, dass wir als Getaufte durch die Verbundenheit mit Jesus überall auf der Welt Schwestern und Brüder haben, „echte Verwandte in der Familie Jesu“. Diese Erklärung deckt sich mit der beeindruckenden Ansage von „Fratelli tutti“, worin uns Papst Franziskus bittet, eine neue globale Geschwisterlichkeit mit Herz und Geist zu leben – in einer zerrissenen Welt über alle nationalen Grenzen hinweg.

 

In der Arbeit mit Flüchtlingen „Gott lernen“

„In der Arbeit mit Flüchtlingen haben wir Gott gelernt.“ Diese Aussage eines Ehepaars, das auf der Insel Lesbos ihre Taverne aufgegeben hat, um rund um die Uhr für Schutzsuchende da zu sein, hat mich tief bewegt. Sie haben durch das Zubereiten spezieller Nahrung für die besonders vulnerablen Gruppen im schrecklichen Flüchtlingslager unendlich viel Gutes getan. Mit diesem konkreten Tun haben sie ihren Glauben und Gott neu entdeckt. „We learned God.“ Ganz verrückt. Es gehört zur Qualität einer Familie, Differenzen zu dulden und trotz unterschiedlicher Meinungen füreinander da zu sein. Der Schlüssel, damit dies in der kleinen Familie, in der Menschheitsfamilie und in der Kirche tatsächlich funktioniert, ist der Geist der Nicht-Verurteilung.

 

Petrus Canisius: An niemandem darf man verzweifeln!

 

Gelebte Barmherzigkeit ist gefragt. Das meint keine billige Harmonisierung, aber sehr wohl ein tieferes Verständnis füreinander. Es wäre ja tatsächlich eine Sünde gegen den Heiligen Geist, an Gottes Barmherzigkeit nicht zu glauben. Petrus Canisius hat bereits als Student unter einer Kreuzdarstellung den Merksatz notiert: „An niemandem darf man verzweifeln!“ Auch nicht an sich selbst oder an der Kirche – füge ich hinzu.
Abschluss: Sind wir also verrückt genug, um dem verrückten Meister Jesus zu folgen? Vielleicht ist es notwendig, mehr von seinem Geist aufzunehmen und uns von ihm leiten zu lassen. Ein verrücktes Leben im Sinne des Evangeliums macht Sinn!

(radio vatikan – claudia kaminski)