Christwerden als lebenslanger Weg
Mit dem fünften Fastensonntag geht die Österliche Bußzeit zu Ende, und es wird auf die Passionszeit übergeleitet. Die neuere Bezeichnung für die Fastenzeit, nämlich Österliche Bußzeit, erinnert daran, dass diese Zeit in der frühen Kirche die Zeit der Vorbereitung auf die Taufe und damit die Zeit des Christwerdens gewesen ist. Dahinter steht die Glaubensüberzeugung, dass sich das Christwerden in einem langen und beschwerlichen Weg der Verwandlung und Bekehrung vollziehen muss, den der Taufbewerber Schritt für Schritt zu gehen hat. In der frühen Kirche mussten die Taufbewerber an einem dreijährigen Taufunterricht teilnehmen, den man Katechumenat genannt hat und dessen Ziel es gewesen ist, in das jüdisch-christliche Glaubenswissen und in die Lebensform des kirchlichen Glaubens sorgfältig eingeübt zu werden. Denn die frühe Kirche ging von der realistischen Annahme aus, dass sich bei den Taufbewerben das christliche Leben nicht von selbst einstellt, sondern dass es erlernt und eingeübt werden muss.
Von welcher existenziellen Tragweite der Katechumenat damals empfunden worden ist, illustriert beispielsweise der heilige Augustinus mit dem Vergleich der christlichen Initiation mit der Herstellung des Brotes: Wie das Korn, das über den Bergen zerstreut gewesen ist, gesammelt, gedroschen und gemahlen, mit Wasser zum Teig vermischt und im Feuer gebacken wird, so müssen die Katechumenen durch die Mühen der Taufvorbereitung hindurch gehen, im Wasser getauft und im Feuer des Heiligen Geistes zum einen Brot, nämlich zum Leib Christi werden.[1]
Das Katechumenat: Umkehr und Buße
Im Katechumenat hatten die Taufbewerber die Ernsthaftigkeit der mit ihrer Taufe verbundenen Umkehr und Buße an den Tag zu legen. In dieser Ernsthaftigkeit scheint der tiefste Grund auf, dass der Taufe das Geschenk der Sündenvergebung zugeordnet worden ist. Bereits im Neuen Testament sind Vergebung der Sünden und Buße eng mit der Taufe verbunden gewesen, wenn beispielsweise Petrus nach seiner Pfingstpredigt den Menschen, denen seine Verkündigung zu Herzen gegangen ist und die deshalb fragen, was sie nun tun sollen, antwortet: „Kehrt um und jeder von Euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung der Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen“ (Apg 2, 38). Ganz in diesem Sinn spricht auch das große Glaubensbekenntnis von Nizäa und Konstantinopel von der „einen Taufe zur Vergebung der Sünden“.
Im Unterschied zur frühen Kirche gehen wir Christen heute in der Österlichen Bußzeit nicht auf die Taufe zu, sondern wir vollziehen diese Zeit als bereits Getaufte. Wir blicken auf unsere Taufe zurück und sind herausgefordert, uns Rechenschaft darüber zu geben, wie wir unsere Taufe leben und wo wir Umkehr und Buße nötig haben. Nur so entsprechen wir dem Anruf der Österlichen Bußzeit.
Christlicher Umgang mit Sünde und Vergebung
Bei dieser Besinnung kann uns das heutige Evangelium von der Begegnung Jesu mit der Ehebrecherin eine Hilfe dafür sein, wie wir als Christen mit Sünde, Buße und Vergebung umzugehen haben. Es sind dabei vor allem drei Erkenntnisse, die uns das Evangelium nahebringen will.
Steinigung bei Ehebruch
Die Erzählung im Evangelium beginnt damit, dass Schriftgelehrte und Pharisäer eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden ist, herbeibringen. Denn diese Autoritäten kennen das mosaische Gesetz, und sie wissen, dass dieses vorsieht, eine auf frischer Tat beim Ehebruch ertappte Frau der gerechten Strafe der Steinigung zuzuführen. Dabei ist es aufschlussreich, dass Jesus den Schriftgelehrten und Pharisäern in der Anerkennung des mosaischen Gesetzes zustimmt. Jesus leugnet weder das Recht des Gesetzes noch verschweigt oder verniedlicht er die Sünde der Frau. Beides steht für ihn außer Zweifel. Denn Jesus nennt Sünde bei ihrem Namen und interpretiert sie nicht um. Er selbst hat ja in seiner Verkündigung immer wieder betont, dass Ehebruch dem Willen Gottes widerspricht, indem er auf die Schöpfung zurückverwiesen hat: „Habt ihr nicht gelesen, dass der Schöpfer die Menschen am Anfang als Mann und Frau geschaffen hat und dass er gesagt hat: Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden, und die zwei werden ein Fleisch sein? Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ (Mt 19, 4-6).
Für Jesus steht fest, dass Ehebruch dem Willen Gottes widerspricht und dass dabei nichts zu relativieren ist.
Für Jesus steht fest, dass Ehebruch dem Willen Gottes widerspricht und dass dabei nichts zu relativieren ist. Im Unterschied zu den Schriftgelehrten und Pharisäern ist damit freilich das letzte Wort noch nicht gesprochen. Denn Jesus bricht den Stab nicht über der Frau; er spricht aber den Schriftgelehrten und Pharisäern das Recht ab, sich zu Richtern über diesen gefallenen Menschen aufzuschwingen. Die Schriftgelehrten und Pharisäer werden sich wahrscheinlich an die alttestamentliche Geschichte erinnert haben, in der Susanne fälschlicherweise des Ehebruches angeklagt worden, die Schuldlose jedoch von Daniel verteidigt worden ist. In der Begegnung mit Jesus dürfte den Schriftgelehrten und Pharisäern aufgegangen sein, dass Jesus mehr als Daniel ist. Denn er nimmt die Ehebrecherin nicht nur in Schutz, sondern er vergibt ihr.
Sündenvergebung als das größte Geschenk
Vergebung der Sünde ist das größte Geschenk, das wir Menschen in der Begegnung mit Jesus Christus erhalten können. Dieses Geschenks werden wir aber nur ansichtig, wenn wir den tragischen Ernst der Sünde nicht wegdisputieren, sondern ihn wahrnehmen. Der tragische Ernst besteht darin, dass wir Menschen mit unserer Sünde allein bleiben und von ihr nicht mehr loskommen können. Es ist zwar gut und heilsam, wenn wir Menschen unsere Sünde erkennen, zu ihr stehen und uns als Sünder bekennen. Auf der anderen Seite jedoch ist es schrecklich, wenn wir uns als Sünder erkennen und bekennen, dabei aber von unserer Sünde nicht loskommen können. Denn wer von seiner Sünde nicht mehr loskommt, wird letztlich sich selbst nicht mehr los. Das schlechte Gewissen des Menschen bleibt mit sich selbst allein. Dann dreht sich alles im Kreis, und zwar in einem teuflischen Kreis.
Jesus bricht in das Gefängnis menschlicher Schuld ein
In dieser bedrängenden Lebenssituation ist es eine heilsame Erfahrung, wenn Jesus Christus selbst in das Gefängnis der menschlichen Schuld einbricht und diese gespenstische Einsamkeit aufbricht. Es kommt einer heilsamen Rettung aus dem Teufelskreis, mit der eigenen Sünde allein sein zu müssen, gleich, wenn Christus ihn mit dem Engelskreis seiner Sündenvergebung überwindet. Es ist ein wunderbares Geschenk des Himmels, wenn Christus uns Menschen von unserer Sünde freispricht und alles daran setzt, damit wir von unserer Sünde und damit von uns selbst loskommen und nicht mehr unsere eigenen Gefangenen im erbarmungslosen Schuldgefängnis bleiben müssen.
Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr.
Dieses großartige Geschenk der Sündenvergebung und der Absolution hat Jesus der Ehebrecherin gemacht. Damit könnte die biblische Geschichte zu Ende sein. Doch weit gefehlt! Es kommt noch ein wesentliches Element hinzu. Nach der Sündenvergebung wendet sich Jesus der Frau nochmals zu und sagt zu ihr: „Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr.“ Jesus mutet der Frau zu, dass sie umkehren und Buße tun wird. Denn wer das Geschenk der Sündenvergebung erfahren durfte, der kann nachher nicht weiter leben, als wäre nichts geschehen. Er wird vielmehr die begangene Sünde nicht mehr tun. Wer von Jesus so viel Liebe erfahren hat, muss dieser Liebe dann auch gerecht werden.
Die Konsequenzen der Taufe leben
Die biblische Geschichte von der Begegnung Jesu mit der Ehebrecherin zeigen uns somit die drei wesentlichen Elemente, wie Jesus mit der Sünde und dem schuldig gewordenen Menschen umgegangen ist: An erster Stelle verurteilt er den Tatbestand des Ehebruches als Sünde und benennt Sünde als Sünde, ohne irgendetwas zu relativieren. Dem konkreten Sünder gegenüber zeigt Jesus aber seine grenzenlose Barmherzigkeit und vergibt die Sünde. Und schließlich bekundet Jesus ebenso großes Vertrauen in den konkreten Sünder, dass er die Sünde künftig meiden wird.
In der Österlichen Bußzeit sind wir eingeladen gewesen, uns auf diesen Umgang mit Sünde, Buße und Umkehr neu zu besinnen und das große Geschenk der Sündenvergebung zu vergegenwärtigen, das uns bereits in der Taufe geschenkt worden ist. Damit ist freilich auch ein großer Anspruch verbunden, wie ihn der Apostel Paulus im Blick auf die Taufe mit dem drastischen Bild zum Ausdruck bringt: „Unser alter Mensch wurde mitgekreuzigt, damit der von der Sünde beherrschte Leib vernichtet werde und wir nicht Sklaven der Sünde bleiben“ (Röm 6, 6). In der Tat: Wer in der Taufe als „alter Mensch“ gestorben ist, der kann nachher nicht wieder ein Mensch werden, der gleichsam „mit allen Wassern gewachsen ist“. Er ist vielmehr berufen, ein Mensch zu werden, der sich auch weiterhin nur waschen lässt mit dem Taufwasser der Liebe und der Gerechtigkeit, des Friedens und der Barmherzigkeit.
Ich wollte den alten Menschen in mir ersäufen, doch der verdammte Kerl konnte schwimmen. Martin Luther
Diese Zumutung ist freilich leichter gesagt als getan. So hat der Reformator Martin Luther in seiner gewohnt drastischen, aber treffenden Sprache im Blick auf den Tod des alten Menschen und der Geburt des neuen Menschen in der Taufe die Feststellung treffen müssen: „Ich wollte den alten Menschen in mir ersäufen, doch der verdammte Kerl konnte schwimmen.“ Auch wir machen immer wieder die Erfahrung der hohen Schwimmkunst des alten Menschen in uns. Deshalb kann es auch für uns nichts Wichtigeres geben als immer wieder auf unsere Taufe zurückzukommen und sie neu anzunehmen. Dies vollziehen wir jeweils in der Heiligen Osternacht, wenn wir unsere Taufversprechen erneuern.
Vorbereitung auf die Geheimnisse der Heiligen Woche
Die Verkündigung am letzten Fastensonntag will uns helfen, uns auf die Feier der grossen Geheimnisse in der Heiligen Woche vorzubereiten, damit wir der Schönheit unseres christlichen Glaubens wieder neu und dankbar bewusst werden und mit Paulus in der heutigen Lesung bekennen können: „Ich sehe alles als Verlust an, weil die Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, alles übertrifft. Seinetwegen habe ich alles aufgegeben und halte es für Unrat, um Christus zu gewinnen und in ihm zu sein“ (Phil 1, 8-9). Amen.
Erste Lesung: Jes 43, 16-21
Zweite Lesung: Phil 3, 8-14
Evangelium: Joh 8, 1-11
[1] Augustinus, Sermo 227, 1.
(vatican news – ck)
(radio vatikan – redaktion claudia kaminski)
Unser Sonntag: im April mit Kardinal Kurt Koch
Der Schweizer studierte Theologie in Luzern und München und war in Luzern Professor für Dogmatik und Liturgiewissenschaft.
1996 wurde er vom Heiligen Johannes Paul II. zum Bischof geweiht und gab sich den Wahlspruch „Christus hat in allem den Vorrang“.
(radio vatikan – redaktion claudia kaminski)